Fristenregelung bei der unfallbedingten Invalidität

Die Fristenregelung in AUB 2002 Nr. 2.1.1.1, nach der die Invalidität innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall von einem Arzt schriftlich festgestellt und geltend gemacht sein muss, genügt auch unter Berücksichtigung des vorangestellten Inhaltsverzeichnisses den Anforderungen des Transparenzgebots.

Die Frist in Nr.2.1.1.1 der AUB 2002 ist damit nach dieser Entscheidung des Bundesgerichshofs wirksam. Der Inhalt der Regelung benachteiligt den Versicherungsnehmer nicht unangemessen i.S. von § 307 Abs. 1 BGB.

Weder ist sie mit Grundgedanken der gesetzlichen Regelung unvereinbar noch schränkt sie wesentliche, sich aus der Natur des Unfallversicherungsvertrages ergebende Rechte oder Pflichten so ein, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet wäre, wie der Bundesgerichtshof bereits für die inhaltlich identischen Vorgängerregelungen in § 7 AUB 94 und § 7 AUB 88 entschieden hat1.

Ebenso wenig ist die Regelung intransparent i.S. von § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB.

Auch dies hat der Bundesgerichtshof für die Regelungen in § 7 AUB 94 und § 7 AUB 88 entschieden2. Ungeklärt ist bislang allerdings, ob dies auch für eine Regelung wie in den hier vorliegenden AUB 2002 der Beklagten gilt, die insoweit den verbreiteten AUB 99, AUB 2000 und AUB 20083 entspricht.

Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit der Regelung werden vor allem im Schrifttum geäußert4. Diese Bedenken beruhen darauf, dass die Klausel als solche zwar klar sei, aber aufgrund der Überschriften und des Inhaltsverzeichnisses vom Versicherungsnehmer im Versicherungsfall nicht aufgefunden würde, da der durchschnittliche Versicherungsnehmer davon ausgehen müsse, alles über die ihn zur Wahrung seiner Ansprüche treffenden Verpflichtungen in Nr. 7 zu finden, und keine Veranlassung habe, auch die Nr.2.1.1.1 zu studieren. Allerdings sind Knappmann, Klimke und Schubach5 der Auffassung, dass die hierdurch begründete Intransparenz unter der Geltung des neuen § 186 VVG nicht mehr zu einer Benachteiligung des Versicherungsnehmers führen könne und die Klausel unter der Geltung des VVG 2008 nicht unwirksam sei6. Auf diesen Gesichtspunkt kann es indessen hier nicht ankommen, weil für den Versicherungsfall aus dem Jahre 2004 noch insgesamt das Gesetz über den Versicherungsvertrag in der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung anzuwenden ist, Art. 1 Abs. 1 EGVVG.

Auch das Oberlandesgericht Hamm hat mit der Begründung, das dem Bedingungswerk vorangestellte Inhaltsverzeichnis und die Überschriften ließen eine solche Fristenregelung an dieser Stelle nicht vermuten, Zweifel an der Wirksamkeit der Regelung geäußert, die Frage aber letztlich als nicht entscheidungserheblich offen gelassen7.

Anderer Auffassung ist die überwiegende Rechtsprechung8. Sie stellt darauf ab, der durchschnittliche Versicherungsnehmer müsse und werde bei um Verständnis bemühter Lektüre des Klauselwerks erkennen, dass die Voraussetzungen für die Versicherungsleistung sowie deren Art und Höhe unter Nr.2.1 geregelt seien, während die Nr. 7 und 8 ohne weiteres ersichtlich nicht die Voraussetzungen der Leistungspflicht des Versicherers regelten, sondern nur, wann ein an sich bestehender Anspruch wieder verloren gehen kann9; der Versicherungsnehmer werde sich, wenn er sich nach einem Unfall anhand des Inhaltsverzeichnisses orientiere, im Falle der Invalidität auch unter der Nr. 2 informieren, welche Ansprüche ihm in diesem Falle zustehen und dann auch auf die Fristenregelung stoßen10; bzw. er werde sich, wenn ein Dauerschaden in Betracht zu ziehen sei, mit den Voraussetzungen für eine Invaliditätsleistung befassen11.

Ferner wird argumentiert, dass es dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer zumutbar sei, den gesamten Bedingungstext durchzulesen; es sei schon bei grober Durchsicht erkennbar, dass das vorab abgedruckte Inhaltsverzeichnis nicht abschließend sei; ohnehin werde er bei Geltendmachung von Invaliditätsansprüchen die entsprechenden Klauseln studieren12.

Die letztgenannte Auffassung ist nach Ansicht des Bundesgerichtshofs zutreffend:

Das Transparenzgebot verlangt vom Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen, dass die Rechte und Pflichten des Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar dargestellt sind und die Klauseln darüber hinaus die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen so weit erkennen lassen, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann13. Eine Regelung ist deshalb auch dann intransparent, wenn sie etwa an verschiedenen Stellen in den Bedingungen niedergelegt ist, die nur schwer miteinander in Zusammenhang zu bringen sind, oder wenn der Regelungsgehalt auf andere Weise durch die Verteilung auf mehrere Stellen verdunkelt wird14.

Diesem Prüfungsmaßstab hält die streitige Regelung stand. Insbesondere ist es nicht zu beanstanden, dass die Fristenregelung getrennt von den in Nr. 7 geregelten Obliegenheiten den Bestimmungen über den Umfang der Versicherung, hier in Nr. 2, zugeordnet worden ist. Es handelt sich bei der Frist für die ärztliche Feststellung der Invalidität und Geltendmachung um eine Anspruchsvoraussetzung, mit der Spätschäden im Interesse einer rationellen, arbeits- und kostensparenden Abwicklung unabhängig von einer früheren Erkennbarkeit und einem Verschulden des Versicherungsnehmers vom Versicherungsschutz ausgenommen werden sollen15. Systematisch gehört sie damit nicht zu den Obliegenheiten.

Der Blick auf diese Anspruchsvoraussetzung wird dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer durch die den einzelnen Klauseln vorangestellte Inhaltsübersicht nicht verstellt.

Vielmehr kann er es sich in keinem Falle ersparen, die diesbezüglichen Regelungen über den Versicherungsumfang zu lesen, wenn er einen Anspruch auf Invaliditätsentschädigung geltend machen will. Dies gilt nicht nur dann, wenn ein Dauerschaden schon unmittelbar nach dem Unfall feststeht, sondern auch dann, wenn sich eine dauernde Beeinträchtigung infolge des Unfalles erst später abzeichnet, und der Versicherungsnehmer sich deshalb zunächst nur anhand der Nr. 7 über die ihn nach dem Unfall treffenden Obliegenheiten informiert. Hierdurch wird er nicht davon abgehalten, sich nach eingetretener Invalidität (gegebenenfalls erneut) rechtzeitig über die Anspruchsvoraussetzungen zu informieren. Der Versicherungsnehmer, der sich anhand des Inhaltsverzeichnisses eingangs der Bedingungen orientiert, wird sich nach den dort enthaltenen Überschriften zum Versicherungsumfang, von denen eine „2.1 Invaliditätsleistung“ lautet, im Falle von unfallbedingter Invalidität im Text der Nr. 2.1 darüber informieren, welche Ansprüche ihm in diesem Fall zustehen. Dabei wird er unmittelbar nach der Überschrift „Invaliditätsleistung“ auf die weitere Überschrift „Voraussetzungen für die Leistung“ stoßen, auch wenn diese im Inhaltsverzeichnis nicht genannt ist. Er wird daran anschließend die Fristenregelung und deren Inhalt zur Kenntnis nehmen. Hierfür bleiben ihm auch bei erst später eingetretener Invalidität mindestens drei Monate Zeit, da eine unfallbedingte Invalidität, die nicht innerhalb eines Jahres eingetreten ist, ohnehin nicht versichert ist.

Dem Versicherungsnehmer, der sich nach Eintritt der Invalidität über seinen Versicherungsschutz anhand der Versicherungsbedingungen unterrichtet, kann bei verständiger Lektüre auch der Inhaltsübersicht nicht verborgen bleiben, dass der Versicherungsumfang im ersten Abschnitt getrennt von den Obliegenheiten geregelt ist. Der Umstand, dass im Abschnitt über den Leistungsfall nicht nochmals auf die Frist in Nr. 2 verwiesen worden ist, ändert daran nichts.

Zwar unterscheidet sich die streitgegenständliche Regelung insoweit von den AUB 88 und AUB 94, in denen jeweils in „§ 1 Der Versicherungsfall“ eine Verweisung auf § 7, in dem sich die Fristenregelung findet, enthalten war. Abgesehen davon, dass auch dort die Obliegenheiten des Versicherungsnehmers nach dem Unfall in § 9 gesondert geregelt waren, ist eine solche Verweisung aber nicht ausschlaggebend dafür, dass der durchschnittliche Versicherungsnehmer bei der von ihm zu fordernden Aufmerksamkeit die Anspruchsvoraussetzungen für eine Invaliditätsentscheidung rechtzeitig hinreichend deutlich erkennen kann. Darauf, ob die Bedingungen noch klarer und verständlicher hätten formuliert werden können, kommt es nicht an16.

Treuwidrigkeit der Berufung auf den Fristablauf

Nur in Ausnahmefällen ist es dem Versicherer verwehrt, sich auf eine Fristversäumnis zu berufen. Der Bundesgerichtshof hat dies in einem Fall angenommen, in dem es ebenfalls um die 15–Monats-Frist in den Unfallversicherungsbedingungen (dort § 8 II (1) AUB 61) ging, und in dem der Versicherer den Versicherungsnehmer noch nach Fristablauf zu einer „Reihe von ärztlichen Untersuchungen und Explorationen“ veranlasst hatte, „die sich großenteils auch auf neurologischem und psychischem Gebiet bewegten und … mit erheblichen körperlichen und seelischen Unannehmlichkeiten verbunden waren“17. In einer späteren Entscheidung hat er bestätigt, dass es sich dabei um einen Ausnahmefall handelte, der im dort entschiedenen Fall nicht in Betracht komme18. Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte nennt als Voraussetzung für eine Treuwidrigkeit des Einwands ebenfalls dem Versicherten vom Versicherer zugemutete „Untersuchungen mit erheblichen körperlichen und seelischen Unannehmlichkeiten“, „beschwerliche ärztliche Diagnosemaßnahmen“ oder „umfangreiche Untersuchungen mit belastenden Eingriffen“, die der Versicherte verweigert hätte, wenn er mit einer Anspruchsablehnung wegen Fristversäumnis hätte rechnen müssen19.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 20. Juni 2012 – IV ZR 39/11

  1. BGH, Urteile vom 19.11.1997 IV ZR 348/96, BGHZ 137, 174 und vom 23.02.2005 IV ZR 273/03, BGHZ 162, 210[]
  2. BGH aaO[]
  3. abgedruckt z.B. bei Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. S. 2765 ff.[]
  4. Knappmann in Prölss/Martin aaO AUB 2008 Nr. 2 Rn. 8; ders. r+s 2002, 485, 489; ders. VersR 2009, 775, 776; Römer in Römer/Langheid, VVG 2. Aufl. § 179 Rn. 21; Schubach in Schubach/Jannsen, Private Unfallversicherung Ziff.02.1 Rn. 28; ders. in van Bühren, Handbuch Versicherungsrecht 4. Aufl. § 16 Rn. 162; Marlow in Veith/Gräfe, Der Versicherungsprozess 2. Aufl. § 8 Rn. 98; Klimke, VersR 2010, 290, 294[]
  5. jeweils aaO[]
  6. a.A. auch für das neue Recht Marlow aaO[]
  7. OLG Hamm VersR 2008, 811[]
  8. OLG Düsseldorf VersR 2010, 805 und VersR 2006, 1487; OLG Köln VersR 2009, 1484; OLG Karlsruhe VersR 2009, 538 und VersR 2005, 1384 mit zustimmender Anmerkung Nitschke; OLG Celle ZfSch 2009, 34[]
  9. so OLG Köln aaO S. 1485[]
  10. so OLG Düsseldorf VersR 2010, 805, 806[]
  11. so OLG Karlsruhe VersR 2005, 1384, 1385[]
  12. Kloth, Private Unfallversicherung G II 1 Rn. 12[]
  13. BGH, Urteile vom 26.09.2007 IV ZR 252/06, VersR 2007, 1690 Rn. 16; vom 23.02.2005 aaO S. 213 f. unter II 2; vom 08.10.1997 IV ZR 220/96, BGHZ 136, 394, 401[]
  14. BGH, Urteil vom 23.02.2005 aaO S. 214[]
  15. BGH, Urteile vom 07.03.2007 IV ZR 137/06, VersR 2007, 1114 Rn. 10; vom 19.11.1997 aaO S. 177 unter 2 b, bb[]
  16. BGH, Urteil vom 23.02.2005 aaO S. 217 unter II 3 b a.E.[]
  17. BGH, Urteil vom 28.06.1978 – IV ZR 7/77, VersR 1978, 1036 unter 2[]
  18. BGH, Urteil vom 05.07.1995 IV ZR 43/94, BGHZ 130, 171 unter II 1[]
  19. OLG Hamm VersR 1992, 1255; OLG Karlsruhe VersR 1998, 882, 883; OLG Frankfurt OLGR 2001, 221, 222[]