Widerspruchsmöglichkeit nach vollständiger Beendigung eines Lebensversicherungsvertrags

Das Oberlandesgericht Celle hält auch nach dem Edress, Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union1 daran fest, dass nach vollständiger Vertragsbeendigung die befristete Widerspruchsmöglichkeit nach § 5 a VVG nicht mehr ausgeübt werden kann2.

Das Endress, Urteil des EuGH vom 19.12 2013 steht dem nach Ansicht des OLG Celle nicht entgegen. Dabei trifft es durchaus zu, dass die Vorlage durch den BGH einen Sachverhalt betrifft, in dem der Vertrag bereits abgewickelt war. Darauf aber kommt es nicht an. Der EuGH entscheidet im Vorlageverfahren nach Art. 267 AEUV „über die Auslegung der Verträge“, nicht über den konkreten, der Vorlage zugrunde liegende Sachverhalt. Daher findet sich in den Gründen des Urteils des EuGH auch nichts über die Behandlung abgewickelter Verträge und insoweit möglicherweise bestehender Besonderheiten. Der EuGH hat sich vielmehr auf die Beantwortung der Vorlagefrage

„Ist Art. 15 Abs. 1 Satz 1 der Zweiten Richtlinie Lebensversicherung unter Berücksichtigung des Art. 31 Abs. 1 der Dritten Richtlinie Lebensversicherung dahin auszulegen, dass er einer Regelung – wie § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG in seiner auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung – entgegensteht, nach der ein Rücktritts- oder Widerspruchsrecht spätestens ein Jahr nach Zahlung der ersten Versicherungsprämie erlischt, selbst wenn der Versicherungsnehmer nicht über das Recht zum Rücktritt oder Widerspruch belehrt worden ist?“

beschränkt, wie er auch selbst in seinem Urteil klargestellt hat.

Ohnehin sollte der Informationszweck zwingend nur dahin gehen, dass dem Versicherungsnehmer mindestens die Modalitäten des Rücktritts bzw. Widerrufs vor Vertragsabschluss mitgeteilt werden3.

Insbesondere hält das Oberlandesgericht daran fest, dass der Zweck eines Widerrufs sich nicht mehr erreichen lässt, wenn der Vertrag wie vorliegend längst abgewickelt ist. Eine Vertragspartei soll das Recht haben zu prüfen, ob sie an dem Vertrag tatsächlich festhalten und diesen bis zu seinem Ende fortführen will. Gibt es keinen Vertrag mehr, hat diese Option ihren Sinn verloren. In ein Abwicklungsverhältnis kann der Vertrag durch einen Widerruf nach Abwicklung entgegen § 357 BGB nicht mehr umgewandelt werden. Es erscheint dem Oberlandesgericht geradezu widersinnig, in Gestalt eines Widerrufs die Lösung von einem Vertrag zu ermöglichen, den es nicht mehr gibt.

Davon unabhängig ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass Versicherungsverträge mit den auf einen realen Leistungsaustausch gerichteten Verträgen wie Darlehens- und anderen Verträgen nur eingeschränkt vergleichbar sind. Die Hauptleistungspflicht des Versicherers liegt in der finanziellen Absicherung eines in der Mehrzahl der Fälle nicht eintretenden Risikos. Während der vorliegend über 12 Jahre bestehenden Vertragsbeziehung hätte sich das Todesfallrisiko verwirklichen können. Die für dieses – nicht eingetretene – Risiko geleistete finanzielle Absicherung begünstigter Hinterbliebenen kann nicht wieder rückgängig gemacht werden4.

Das Urteil des BGH vom 16.10.20135 diente dem Oberlandesgericht Celle nicht der Begründung, sondern nur der Bestätigung seiner Ansicht. Die hiergegen angeführte fehlende Vergleichbarkeit sieht das Oberlandesgericht ohnehin nicht6. Weiter überzeugt auch der Hinweis auf das Außerkrafttreten der Vorschriften des Haustürwiderrufsgesetzes und des Verbraucherkreditgesetzes nicht, weil auch nach der aktuellen Rechtslage grundsätzlich nur ein befristetes Widerrufsrecht vorgesehen ist (§ 355 BGB).

Soweit vertreten wird, es komme nicht darauf an, ob ein Lebensversicherungsvertrag wie vorliegend durch Ablauf beendet worden sei oder durch Kündigung wie in der Sache Endress, so tritt das Oberlandesgericht dem in dieser Allgemeinheit nicht bei. Gerade wegen der vertragsgemäßen Durchführung des Vertrages kommt vorliegend, ohne dass es darauf für diese Entscheidung noch ankäme, in Betracht, zu Lasten des Klägers anzunehmen, dass dieser sich treuwidrig verhält (§ 242 BGB). Es kommt Verwirkung in Betracht, wenn – abgesehen vom bloßen Zeitablauf – Umstände vorliegen, die für den Schuldner einen Vertrauenstatbestand schaffen und die spätere Geltendmachung des Rechts als treuwidrig erscheinen lassen. Nach Durchführung und zunächst widerspruchsfrei gebliebener Abrechnung des Versicherungsvertrages durfte die Beklagte darauf vertrauen, dass nicht mehr als ein Jahr nach dieser Abrechnung und Auskehrung der Versicherungssumme noch weitere Forderungen an sie herangetragen würden.

Oberlandesgericht Celle, Beschluss vom 7. Januar 2014 – 8 U 198/13

  1. EuGH, Urteil vom 19.12.2013 – C-209/12[]
  2. OLG Celle, Urteil vom 09.02.2012 – 8 U 191/11[]
  3. EuGH, a. a. O., Rdnr. 25[]
  4. vgl. OLG München, VersR 2012, 1514, zit. nach juris[]
  5. BGH, URteil vom 16.10.2013 – IV ZR 52/12[]
  6. s. a. EuGH a. a. O., Rdnrn. 27 ff.[]