Liegt eine grob fahrlässige Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit durch den Versicherungsnehmer vor, darf der Versicherer in Ausnahmefällen die Leistung komplett versagen, so etwa bei absoluter Fahruntüchtigkeit eine Kürzung auf null vornehmen. Allerdings muss in jedem Einzelfall eine Abwägung der Umstände erfolgen1.
Im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall nimmt der klagende Kfz-Haftpflichtversicherer seinen Versicherungsnehmer in Regress, nachdem er für ihn den anlässlich einer Trunkenheitsfahrt im Zustand absoluter Fahruntüchtigkeit entstandenen Schaden reguliert hatte. Vor dem Amtsgericht Pfaffenhofen hat der Beklagte einen Teilbetrag von 1.877,95 € anerkannt. Das Amtsgericht hat den Beklagten zur Zahlung in Höhe der Klageforderung verurteilt2 . Die Berufung ist ohne Erfolg geblieben3 . Mit seiner Revision verfolgt der Beklagte die Aufhebung des Berufungsurteils und Klageabweisung über den von ihm anerkannten Betrag hinaus.
Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs hält die Entscheidung des Berufungsgerichts rechtlicher Nachprüfung stand. Für § 81 Abs. 2 VVG ist die Frage der Möglichkeit einer Leistungskürzung auf null in Ausnahmefällen durch das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 22. Juni 20114 geklärt. Dort ist entschieden worden, dass die in § 81 Abs. 2 VVG geregelte Rechtsfolge, wonach der Versicherer berechtigt ist, „seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen“, einer vollständigen Versagung der Leistung in Ausnahmefällen nicht entgegen steht. Es bedarf dabei stets einer Abwägung der Umstände des Einzelfalles. Weder der Wortlaut der Norm noch dessen Entstehungsgeschichte schließen eine Leistungskürzung auf null aus. Auch der mit der Abschaffung des Alles-oder-Nichts-Prinzips verfolgte Gesetzeszweck führt nicht zur Unzulässigkeit der vollständigen Leistungsfreiheit. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen sich der Schweregrad der groben Fahrlässigkeit dem Vorsatz annähert.
Diese Grundsätze treffen ebenso auf die Regelung des § 28 Abs. 2 VVG zu. Hinsichtlich der Rechtsfolge weisen beide Vorschriften einen identischen Wortlaut auf. Sie teilen dieselbe Entstehungsgeschichte. Der vom Gesetzgeber mit der Aufgabe des Alles-oder-Nichts-Prinzips verfolgte Gesetzeszweck ist bei beiden Normen der gleiche. Anhaltspunkte für den Ausschluss einer Leistungskürzung auf null gibt es nicht. Es ist auch nicht ersichtlich, dass in Rechtsprechung oder Literatur für § 28 Abs. 2 VVG und § 81 Abs. 2 VVG unterschiedliche Rechtsfolgen angenommen werden.
Der Einwand des Beklagten, die vertragliche Regelung über die Leistungskürzung bei Verletzung von Obliegenheiten in D.3.1 AKB 2008 sei wegen fehlender Transparenz gemäß § 307 Abs. 1 BGB unwirksam, greift nicht durch. Dieser Bestimmung, die sich im Kern lediglich dem Gesetzeswortlaut anschließt, kann der durchschnittliche Versicherungs-nehmer entnehmen, dass eine Leistungskürzung auf null in Fällen grober Fahrlässigkeit nicht ausgeschlossen ist. Zunächst bestimmt D.3.1 Satz 1 AKB 2008, dass bei vorsätzlicher Verletzung einer der in D.1 oder D.2 AKB 2008 geregelten Obliegenheiten kein Versicherungsschutz besteht. Nach D.3.1 Satz 2 AKB 2008 ist der Versicherer bei grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung durch den Versicherungsnehmer zu einer Leistungskürzung in einem der Schwere des Verschuldens entsprechenden Verhältnis berechtigt. Hieraus erschließt sich, dass es gerade nicht gewollt ist, ein voller Leistungsausschluss sei nur bei Vorsatz möglich und bei grober Fahrlässigkeit müsse stets eine Restquote verbleiben, selbst wenn die Schwere der Schuld dies nicht rechtfertige. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird daher die Bestimmung des D.3.1 Satz 2 AKB 2008 nicht so verstehen, dass diese die Möglichkeit einer Leistungskürzung auf null ausschließt.
Beanstandungsfrei ist das Berufungsgericht bei seiner Abwägung aller Umstände des konkreten Falles zu einer Leistungskürzung auf null gelangt. Es hat insbesondere zutreffend zugrunde gelegt, dass der Beklagte deutlich über der Grenze der dafür maßgeblichen Grenze von 1,1 Promille absolut fahruntüchtig war und das Führen in einem alkohol-bedingt fahruntüchtigen Zustand zu den schwersten Verkehrsverstößen überhaupt zählt5. Es hat weiterhin berücksichtigt, dass die alkoholbedingten Ausfallerscheinungen des Beklagten die alleinige Schadenursache waren. Entlastende Momente sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht bei der Höhe der Regressforderung die Kosten für ein Sachverständigengutachten von 702,04 € berücksichtigt, die der Geschädigte zur Ermittlung seines Sachschadens aufgewendet hatte und die ihm von der Klägerin ersetzt worden waren. Die Kosten eines Sachverständigengutachtens gehören zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 Abs. 1 BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen, soweit die Begutachtung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig ist6. Dabei kommt es darauf an, ob ein verständig und wirtschaftlich denkender Geschädigter nach seinen Erkenntnissen und Möglichkeiten die Einschaltung eines Sachverständigengutachtens für geboten erachten durfte7. Dies ist dann anzunehmen, wenn der Geschädigte nicht allein in der Lage ist, seinen Schaden zu beziffern8.
Auch der Angriff der Revision gegen die Sachverständigenkosten greift nicht durch. Zwar kann die Höhe des Sachschadens ein Gesichtspunkt bei der Beurteilung der Erforderlichkeit eines Sachverständigengutachtens sein. Der hier unstreitig eingetretene Schaden von 3.479 € bewegt sich aber außerhalb der sogenannten Bagatellfälle9.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 11. Januar 2012 – IV ZR 251/10
- Fortführung von BGH, Urteil vom 22.06.2011 – IV ZR 225/10, VersR 2011, 1037[↩]
- AG Pfaffenhofen a. d. Ilm, Entscheidung vom 15.04.2010 – 2 C 26/10[↩]
- LG Ingolstadt, Entscheidung vom 18.10.2010 – 22 S 829/10[↩]
- BGH, Urteil vom 22.06.2011 – IV ZR 225/10, VersR 2011, 1037[↩]
- BGH, Urteil vom 22.06.2011 aaO Rn. 32 f.[↩]
- BGH, Urteile vom 30.11.2004 – VI ZR 365/03, NJW 2005, 356 unter II 5 a; vom 29.11.1988 – X ZR 112/87, NJW-RR 1989, 953 unter B[↩]
- BGH, Urteil vom 30.11.2004 aaO[↩]
- OLG Jena MDR 2008, 211[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 30.11.2004 aaO unter II 5 c; Erman/Westermann, BGB 13. Aufl. § 249 Rn. 99; Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs 4. Aufl. § 26 Rn. 4[↩]