Aufklärungsobliegenheiten in der Haftpflichtversicherung

Zur Reichweite der Auskunftspflicht der Versicherungsnehmerin (hier: gemäß § 34 VVG a.F.) gilt, dass es grundsätzlich Sache des Versicherers ist, welche Angaben er zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich hält, um seine Entscheidung über die Leistungspflicht auf ausreichender und gesicherter Tatsachengrundlage treffen zu können.

Dazu gehören auch Umstände, die lediglich Anhaltspunkte für oder gegen das Vorliegen eines Versicherungsfalles liefern können. Dagegen kommt es nicht darauf an, ob sich die vom Versicherungsnehmer geforderten Angaben am Ende nach dem Ergebnis der Prüfung als für die Frage der Leistungspflicht tatsächlich wesentlich erweisen1. Somit ist die Frage der Erforderlichkeit der erbetenen Auskünfte ex ante zu beurteilen, wobei dem Versicherer ein erheblicher Beurteilungsspielraum zuzubilligen ist.

Maßgeblich für die Zulässigkeit von Auskunftsersuchen des Versicherers und die Reichweite der sich daraus ergebenden Auskunftspflicht des Versicherungsnehmers ist der Zweck der Aufklärungsobliegenheit, die dem Versicherer die sachgerechte Prüfung seiner Leistungspflicht ermöglichen soll, was auch der durchschnittliche Versicherungsnehmer in Anbetracht der Regelung über die Weisungsbefugnis des Versicherers und die weite Fassung der Klausel mit Einbeziehung aller Tatumstände, die auch nur „Bezug“ auf den Schadenfall haben, erkennen kann. Danach erstreckt sich die Auskunftspflicht auf jeden Umstand, der zur Aufklärung des Tatbestandes dienlich sein kann2, soweit dem Versicherungsnehmer nichts „Unbilliges zugemutet“ wird.

Hieraus folgt die Eigenschadenversicherung im Rahmen einer Vermögensschadenhaftpflichtversicherung, dass die Versicherungsnehmerin gehalten war, zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts auch mitzuteilen, was ihre frühere Sachbearbeiterin noch selbst zu den Gründen ihrer fehlerhaften Bearbeitung angeben kann, und hierzu die erbetene Stellungnahme ihrer früheren Sachbearbeiterin einzuholen oder sich wenigstens hierum zu bemühen.

Dies war nicht deshalb entbehrlich, weil der äußere Ablauf der Vorgänge bereits von einem anderen Mitarbeiter der Versicherungsnehmerin ermittelt und mitgeteilt worden war. Für die Feststellung des Versicherungsfalles kam es nicht nur auf diesen äußeren Ablauf, sondern auch auf die Frage des Verschuldens der Sachbearbeiterin an, da nur fahrlässige Pflichtverletzungen versichert sind, ein Versicherungsfall also sowohl bei vorsätzlichem als auch bei schuldlosem Handeln ausschied. Deshalb war es in jedem Falle zweckdienlich, auch eine Äußerung der Handelnden selbst herbeizuführen. Dies gilt sowohl im Hinblick auf einen etwaigen Vorsatz, für dessen Feststellung anderenfalls nur auf Indizien, Erfahrungssätze und Schlussfolgerungen zurückgegriffen werden könnte, als auch im Hinblick darauf, ob der Sachbearbeiterin die korrekte Arbeitsweise bekannt war und warum sie nicht angewandt wurde, was für einen Fahrlässigkeitsvorwurf von Bedeutung ist. Mag auch die Wahrscheinlichkeit groß sein, dass diese nach so vielen Jahren keine konkrete Erinnerung an den einzelnen Vorgang mehr hatte, so kann dies doch nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Selbst wenn die Auffassung der Revision, dass schon nach der Lebenserfahrung bei der vorliegenden Konstellation in jedem Falle von einem fahrlässigen Pflichtverstoß auszugehen wäre, für den Regelfall zutreffen sollte, so hätten durch eine Befragung der Sachbearbeiterin möglicherweise eventuelle besondere Umstände zutage gefördert werden können, die die nach der Lebenserfahrung naheliegende Fahrlässigkeit in die eine oder andere Richtung ausschließen konnten und deshalb gegebenenfalls eine vom Regelfall abweichende Beurteilung erforderten. Zur Prüfung der Frage, ob hier eventuell ein solcher Ausnahmefall vorliegt, war die erbetene Stellungnahme nicht von vornherein ungeeignet. Anderes ergibt sich auch nicht aus dem von der Revision zitierten Urteil des Oberlandesgerichts Hamm3, weil sich in dem dort entschiedenen Sachverhalt die Person des tätig gewesenen Sachbearbeiters gerade nicht mehr feststellen ließ.

Der Annahme einer Obliegenheitsverletzung steht nicht entgegen, dass die Versicherungsnehmerin das, was sie an Tatsachen schon ermittelt hatte und deshalb positiv wusste, dem führenden Versicherer mit der Schadenanzeige und dem Bericht ihres Mitarbeiters H. bereits mitgeteilt hatte. Der auskunftspflichtige Versicherungsnehmer muss sich über die Tatsachen, zu denen der Versicherer berechtigt Auskunft verlangt, gegebenenfalls erkundigen4. Deshalb war die Versicherungsnehmerin verpflichtet, sich auch weiteres Tatsachenwissen zu verschaffen, indem sie ihre frühere Mitarbeiterin befragte, ob diese eine konkrete Erinnerung an den Vorgang habe oder sonst Angaben zur Art ihrer damaligen Sachbearbeitung und deren Gründen machen könne.

Schließlich ist es für die Annahme einer Obliegenheitsverletzung unerheblich, dass sich die Sachbearbeiterin im Zeitpunkt der Aufforderung des Versicherers im Erziehungsurlaub befand. Dieser Umstand enthob die Versicherungsnehmerin nicht ihrer Obliegenheit, sich um eine Stellungnahme ihrer Mitarbeiterin wenigstens zu bemühen.

Die Obliegenheitsverletzung der Versicherungsnehmerin ist vorliegend auch nicht folgenlos geblieben, so dass es auf die weiteren Voraussetzungen der so genannten Relevanzrechtsprechung des Bundesgerichtshofs5 nicht ankommt. Denn es steht nicht fest, ob und gegebenenfalls welche weiteren Erkenntnisse eine Befragung der Mitarbeiterin der Versicherungsnehmerin erbracht hätte, so dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich die Unterlassung auf die Möglichkeiten zur Feststellung des Versicherungsfalls ausgewirkt hat.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 22. Oktober 2014 – IV ZR 243/13

  1. BGH, Urteil vom 16.11.2005 – IV ZR 307/04, VersR 2006, 258 unter II 1 b; vgl. zum inhaltlich unveränderten neuen Recht auch Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. § 31 Rn. 7[]
  2. vgl. auch BGH, Urteil vom 01.12 1999 – IV ZR 71/99, VersR 2000, 222[]
  3. OLG Hamm VersR 1978, 711[]
  4. BGH, Urteil vom 21.04.1993 – IV ZR 34/92, VersR 1993, 828 unter 2 c; vgl. auch Prölss in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. § 31 Rn. 3; Voit/Knappmann in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 5 AHB Rn. 6[]
  5. vgl. dazu BGH, Urteile vom 28.02.2007 – IV ZR 231/05, VersR 2007, 785 unter II 2 b; vom 26.01.2005 – IV ZR 239/03, VersR 2005, 493 unter II 2 c; vom 21.01.1998 – IV ZR 10/97, VersR 1998, 447 unter 2 b[]