Aus Art. 15 Abs. 1 und 3 DSGVO folgt grundsätzlich kein Anspruch auf Abschriften der Begründungsschreiben samt Anlagen zu Prämienanpassungen in der privaten Krankenversicherung1.
Ein solcher Anspruch lässt sich nicht auf Art. 15 Abs. 1 und Abs. 3 DSGVO stützen. Allerdings ist Art. 15 DSGVO im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Streitfall in zeitlicher Hinsicht anwendbar, obwohl die Verarbeitungsvorgänge, auf die sich das Auskunftsersuchen bezieht, im Jahr 2016 und damit vor dem 25.05.2018 als dem Anwendungsdatum der Datenschutz-Grundverordnung (Art. 99 Abs. 2 DSGVO) ausgeführt wurden. Denn das streitgegenständliche Auskunftsersuchen selbst wurde erst nach diesem Datum vorgebracht2.
Art. 15 Abs. 1 DSGVO gibt der betroffenen Person gegenüber dem datenschutzrechtlich Verantwortlichen (Art. 4 Nr. 7 DSGVO) ein Auskunftsrecht über die Verarbeitung personenbezogener Daten. Gemäß Art. 4 Nr. 1 DSGVO sind personenbezogene Daten alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person („betroffene Person“) beziehen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist der Begriff weit zu verstehen. Er ist nicht auf sensible oder private Informationen beschränkt, sondern umfasst potenziell alle Arten von Informationen sowohl objektiver als auch subjektiver Natur, unter der Voraussetzung, dass es sich um Informationen über die in Rede stehende Person handelt. Die letztgenannte Voraussetzung ist erfüllt, wenn die Information aufgrund ihres Inhalts, ihres Zwecks oder ihrer Auswirkungen mit einer bestimmten Person verknüpft ist3.
Nach diesen Grundsätzen sind Schreiben der betroffenen Person an den Verantwortlichen ihrem gesamten Inhalt nach als personenbezogene Daten einzustufen, da die personenbezogene Information bereits darin besteht, dass die betroffene Person sich dem Schreiben gemäß geäußert hat, umgekehrt aber wie hier maßgeblich – Schreiben des Verantwortlichen an die betroffene Person nur insoweit, als sie Informationen über die betroffene Person nach den oben genannten Kriterien enthalten. Dementsprechend sind auch nur die personenbezogenen Daten eines Versicherungsscheins nicht kategorisch vom Anwendungsbereich des Art. 15 Abs. 1 DSGVO ausgeschlossen4.
Der klägerische Antrag zielt auf die Übermittlung einer Abschrift der gesamten Begründungsschreiben des Krankenversicherers zur im Jahr 2016 erfolgten Beitragserhöhung samt Anlagen ab. Einzelne Teile dieser Schreiben und Anlagen enthalten zwar einzelne personenbezogene Daten des Versicherungsnehmers als Versicherungsnehmer des Krankenversicherers, es handelt sich aber weder bei den Anschreiben des Krankenversicherers selbst noch bei den beigefügten Anlagen (Beiblätter, Nachtrag zum Versicherungsschein) in ihrer Gesamtheit um personenbezogene Daten des Versicherungsnehmers. Eine Beschränkung des geltend gemachten Anspruchs und seines Antrags auf die in den Schreiben enthaltenen personenbezogenen Daten hat der Versicherungsnehmer jedoch nicht vorgenommen5.
Auch aus Art. 15 Abs. 3 DSGVO kann der Versicherungsnehmer keinen Anspruch auf Ausfolgung einer Kopie der Begründungsschreiben samt Anlagen herleiten. Art. 15 Abs. 3 DSGVO legt die praktischen Modalitäten für die Erfüllung des Anspruchs aus Art. 15 Abs. 1 DSGVO fest, gewährt aber keinen weitergehenden eigenen Anspruch. Der Begriff „Kopie“ in Art. 15 Abs. 3 DSGVO bezieht sich nicht auf ein Dokument als solches, sondern auf die personenbezogenen Daten, die es enthält. Die Kopie muss daher alle personenbezogenen Daten enthalten, die Gegenstand der Verarbeitung sind. Die Reproduktion von Auszügen aus Dokumenten oder gar von ganzen Dokumenten oder auch von Auszügen aus Datenbanken kann sich aber dann als unerlässlich erweisen, wenn die Kontextualisierung der verarbeiteten Daten erforderlich ist, um ihre Verständlichkeit zu gewährleisten und der betroffenen Person die wirksame Ausübung ihrer Rechte zu gewährleisten6.
Diese Ausnahme greift vorliegend nicht. Denn der Versicherungsnehmer hat weder dazu vorgetragen noch ist sonst ersichtlich, dass die Kontextualisierung der verarbeiteten Daten erforderlich wäre, um ihre Verständlichkeit zu gewährleisten, sodass ausnahmsweise die Übermittlung einer Kopie des jeweiligen vollständigen Begründungsschreibens samt Anlagen nötig wäre7.
Ein Auskunftsanspruch ergibt sich auch nicht aus § 3 Abs. 3 VVG. Nach dieser Vorschrift kann der Versicherungsnehmer vom Versicherer die Ausstellung eines neuen Versicherungsscheins verlangen, wenn ein Versicherungsschein abhandengekommen oder vernichtet ist. Die mit dem Auskunftsbegehren herausverlangten Anschreiben, Begründungen und Beiblätter werden davon ohnehin nicht erfasst. Aber auch soweit der Versicherungsnehmer beantragt hat, ihm die Nachträge zum Versicherungsschein aus dem Jahr 2016 zur Verfügung zu stellen, kann dies nicht auf § 3 Abs. 3 VVG gestützt werden. Der Versicherungsschein hat eine Informations, Legitimierungs- und Beweisfunktion. Damit sich der Versicherungsnehmer über die Rechte und Pflichten aus dem Vertrag informieren und diese nachweisen kann, gibt ihm § 3 Abs. 3 VVG einen Anspruch auf Ersatzausstellung des Versicherungsscheins. Dieser erfasst daher nur den Versicherungsschein einschließlich solcher Nachträge, die den derzeit geltenden Vertragsinhalt wiedergeben, nicht dagegen bereits überholte Nachträge8.
§ 3 Abs. 4 Satz 1 VVG bezieht sich nur auf eigene Erklärungen des Versicherungsnehmers, nicht solche des Versicherers, und scheidet deshalb ebenfalls als Anspruchsgrundlage aus9.
Auch auf § 810 BGB kann der Anspruch nicht gestützt werden, da er lediglich die Gestattung der Einsichtnahme in eine in fremdem Besitz befindliche Urkunde ermöglicht10.
Im vorliegenden Fall konnte der Versicherungsnehmer sein streitgegenständliches Auskunftsbegehren auch nicht auf Treu und Glauben nach § 242 BGB stützen.
Nach § 242 BGB trifft den Schuldner im Rahmen einer Rechtsbeziehung ausnahmsweise eine Auskunftspflicht, wenn der Berechtigte in entschuldbarer Weise über Bestehen und Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und der Verpflichtete die zur Beseitigung der Ungewissheit erforderliche Auskunft unschwer geben kann. Die Zubilligung des Auskunftsanspruchs hat unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu erfolgen. Innerhalb vertraglicher Beziehungen – wie hier – kann der Auskunftsanspruch auch die Funktion haben, dem Berechtigten Informationen über das Bestehen des Anspruchs dem Grunde nach zu verschaffen. Es müssen dann ausreichende Anhaltspunkte für das Bestehen eines Hauptanspruchs gegeben sein, der mit Hilfe der Auskunft geltend gemacht werden soll11.
Zudem sind Feststellungen dazu zu treffen, dass der Berechtigte nicht mehr über die im Auskunftsantrag bezeichneten Unterlagen verfügt. Nur dann kann feststehen, dass er über Bestehen und Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und sich die notwendigen Informationen nicht selbst auf zumutbare Weise beschaffen kann. Treu und Glauben erfordern es nicht, dem Auskunftssuchenden Mühe auf Kosten des Auskunftsverpflichteten zu ersparen12.
Schließlich bedarf es Feststellungen zu den Gründen des Verlusts. Der Versicherungsnehmer ist nicht schon dann entschuldbar über seine Rechte im Ungewissen, wenn er die Unterlagen über die Beitragsanpassungen nicht mehr besitzt und zu den Gründen des Verlusts nicht weiter vorträgt. Erst die Darlegung der Gründe des Verlusts durch den Versicherungsnehmer ermöglicht die Beurteilung, ob dem Versicherungsnehmer unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalles und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ausnahmsweise ein Auskunftsanspruch nach § 242 BGB zusteht13.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 6. Februar 2024 – VI ZR 15/23
- Anschluss an BGH, Urteil vom 27.09.2023 – IV ZR 177/22, NJW 2023, 3490 Rn. 45 ff.[↩]
- vgl. EuGH, Urteil vom 22.06.2023 – C579/21, NJW 2023, 2555 Rn. 36[↩]
- vgl. EuGH, Urteil vom 04.05.2023 – C487/21, NJW 2023, 2253 Rn. 23 f.; vgl. auch BGH, Urteil vom 15.06.2021 – VI ZR 576/19, NJW 2021, 2726 Rn. 22 mwN[↩]
- BGH, Urteil vom 27.09.2023 – IV ZR 177/22, NJW 2023, 3490 Rn. 48; vgl. auch BGH, Urteil vom 15.06.2021 – VI ZR 576/19, NJW 2021, 2726 Rn. 25[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 27.09.2023 – IV ZR 177/22, NJW 2023, 3490 Rn.46 ff.[↩]
- vgl. EuGH, Urteile vom 04.05.2023 – C487/21, NJW 2023, 2253 Rn. 31 f., 41, 45; vom 22.06.2023 – C579/21, NJW 2023, 2555 Rn. 66; vom 26.10.2023 – C307/22, NJW 2023, 3481 Rn. 74 f.; BGH, Urteil vom 27.09.2023 – IV ZR 177/22, NJW 2023, 3490 Rn. 51 ff.[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 27.09.2023 – IV ZR 177/22, NJW 2023, 3490 Rn. 55[↩]
- BGH, Urteil vom 27.09.2023 – IV ZR 177/22, NJW 2023, 3490 Rn. 42 mwN[↩]
- BGH, aaO Rn. 43 mwN[↩]
- BGH, aaO Rn. 44 mwN[↩]
- BGH, Urteil vom 27.09.2023 – IV ZR 177/22, NJW 2023, 3490 Rn. 30 ff. mwN[↩]
- BGH, aaO Rn. 38 mwN[↩]
- BGH, aaO Rn. 40 mwN[↩]