Frist für Invaliditätseintritt und ärztliche Invaliditätsfeststellung in der Unfallversicherung

Nach der ständigen höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung sind die Fristen hinsichtlich des Eintritts der Invalidität binnen Jahresfrist nach dem Unfall und der ärztlichen Feststellung und Geltendmachung innerhalb von 15 Monaten keine bloßen Obliegenheiten des Versicherungsnehmers in der Unfallversicherung, sondern materiell-rechtliche Ausschlussfristen1.

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung muss die Invalidität, also die dauernde Beeinträchtigung aufgrund eines Unfalls, spätestens 15 Monate nach dem Unfallereignis ärztlich festgestellt sein, soweit dies zwischen den Parteien vereinbart ist. Auch dies ist keine Obliegenheit, sondern Anspruchsvoraussetzung2. Die Feststellung durch einen Arzt ist, soweit die Versicherungsbedingungen in der Unfallversicherung nicht ohnehin Schriftform erfordern, aus Gründen der Rechtssicherheit und Beweissicherung in schriftlicher Form erforderlich3. Die ärztliche Feststellung muss beinhalten, dass bedingt durch den Unfall eine dauernde Beeinträchtigung eingetreten ist4. Die bloße Feststellung einer Invalidität reicht nicht aus; es muss auch die Unfallbedingtheit festgestellt werden5.

Wiedereinschlussklausel

Die Wiedereinschlussklausel der Ziff. 5.2.3 Satz 2 AUB 2006 führt nicht zu einem neuen Versicherungsfall oder einer erweiterten Versicherungsleistungspflicht, bei dem die Voraussetzungen der Ziff. 2.1.1.1 AUB 2006 als materiell-rechtliche Ausschlussfristen nicht einzuhalten wären.

Es besteht kein Versicherungsschutz, wenn die gesundheitlichen Folgemaßnahmen, die nach Ziff. 5.2.3 Satz 2 AUB 2006 mit versichert sind, nicht auf einem bestimmungsgemäßen Unfall beruhen und die Ausschlussfristen nicht eingehalten sind. Später durchgeführte Operationen sind kein „Zweitunfall“.

Die Wiedereinschlussklausel in Ziff. 5. 2.3 Satz 2 AUB 2006 nennt für die Wiedereinbeziehung des Versicherungsschutzes nur einen „unter diesen Vertrag fallenden Unfall“. Hieraus könnte geschlossen werden, dass nur und alleine die in Ziff. 1.3 AUB 2006 genannten Unfallvoraussetzungen für die Wiedereinbeziehung nach Ziff. 5.2.3 Satz 2 AUB 2006 für einen Wiedereinbeziehungsanspruch notwendig sind. Für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer ist indes noch hinreichend ersichtlich, dass die Voraussetzungen zur Invaliditätsleistung insgesamt und damit auch die unter Ziff. 2.1.1.1 AUB 2006 genannten Fristen für einen Anspruch auf Wiedereinbeziehung von Folgeheilmaßnahmen oder Folgeeingriffen aufgrund eines Unfalls gem. Ziff. 1.3 AUB 2006 notwendig sind. Den AVB kann der Versicherungsnehmer keinen Hinweis entnehmen, dass der Versicherer im Falle einer wieder in den Versicherungsschutz einbezogenen Operation (Ziff. 5.2.3 AUB 2006) auf die Einhaltung der nach dem Unfall zu beachtenden Fristen (Ziff. 2.1.1.1 AUB 2006) verzichtet beziehungsweise deren Lauf in nicht näher bezeichneter Weise verlängert.

Die verwendeten Versicherungsklauseln sind deshalb weder mehrdeutig gem. § 305 Abs. 2 BGB noch intransparent gem. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB.

Nachweisfrist für die eingetretene Invalidität

Die Regelung, nach der die Invalidität binnen Jahresfrist eingetreten sein muss, stellt in der Unfallversicherung ebenfalls eine die Entschädigungspflicht des Versicherers begrenzende Anspruchsvoraussetzung dar. Sie bezweckt, dass der Versicherer nicht für Spätschäden, die in der Regel schwer aufklärbar und unübersehbar sind, eintreten muss6.

Die Berufung auf den Fristablauf kann ausnahmsweise treuwidrig sein, wenn sie vom Versicherer verspätet ausgeübt wird7.

Oberlandesgericht Stuttgart, Urteil vom 14. Juni 2012 – 7 U 30/12

  1. BGH VersR 1998, 175 ff.[]
  2. BGH VersR 1965, 505; BGH VersR 1978, 1036; BGH VersR 1995, 1179; BGH r+s 2007, 255[]
  3. OLG Stuttgart r+s 2003, 211 f.; OLG Koblenz VersR 1993, 1262; OLG Hamburg VersR 1998, 1412; OLG Frankfurt VersR 1996, 618; OLG München VersR 1995, 565 – jeweils m.w.N.[]
  4. BGH VersR 2007, 1114[]
  5. OLG Hamm VersR 2001, 1270; OLG Bremen NVersZ 2001, 75[]
  6. BGH VersR 1978, 1036 sub 1 a; BGH VersR 1997, 442[]
  7. vgl. OLG Karlsruhe VersR 1998, 882 m.w.N.; OLG Düsseldorf r+s 1997, 129 m.w.N.[]