Rückwärtsversicherung – und die unvollständige Erklärung zu den Vorschäden

Die in § 2 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 VVG a.F. geregelte Freiheit vom Leistungsversprechen einer Rückwärtsversicherung setzt – ebenso wie eine für rückwirkenden Versicherungsschutz vertraglich vereinbarte Klausel „frei von bekannten Verstößen“ – positive Kenntnis des Versicherungsnehmers davon voraus, dass bereits ein Versicherungsfall eingetreten oder ein ihn begründender Pflichtenverstoß geschehen ist. Deren Feststellung kann nicht durch die Erwägung ersetzt werden, der Versicherungsnehmer habe die betreffenden Umstände kennen müssen.

Die in § 2 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 VVG a.F. geregelte Freiheit vom Leistungsversprechen einer Rückwärtsversicherung setzt ebenso wie die von den Parteien für den rückwirkenden Versicherungsschutz ab dem 1.03.2005 vereinbarte Klausel „frei von bekannten Verstößen“ eine positive Kenntnis des Versicherungsnehmers davon voraus, dass bereits ein Versicherungsfall eingetreten oder ein ihn begründender Pflichtenverstoß geschehen ist. Wie der Bundesgerichtshof für die – eine Anzeigeobliegenheit begründende Kenntnis des Versicherungsnehmers vom Eintritt des Versicherungsfalls entschieden hat, kann deren Feststellung nicht durch die Erwägung ersetzt werden, der Versicherungsnehmer habe die betreffenden Umstände kennen müssen1, denn das kennzeichnet lediglich einen Fahrlässigkeitsvorwurf.

Für die hier in Rede stehenden Regelungen gilt nichts anderes. Sie bezwecken, den Versicherungsnehmer bei Vereinbarung einer Rückwärtsversicherung an einer bewussten Manipulation des versicherten Risikos zu hindern2. Er soll nicht in die Lage versetzt werden, rückwirkenden Versicherungsschutz für einen Versicherungsfall zu erlangen, von dem er weiß, dass er bereits eingetreten ist. Eine Unkenntnis von einem bereits eingetretenen Versicherungsfall und sei sie auch grob fahrlässig birgt diese Manipulationsgefahr hingegen nicht.

Es reicht deshalb nicht aus, wenn dem Versicherungsnehmer lediglich Tatsachen bekannt sind, die zwar den möglichen Schluss zulassen oder sogar nahe legen, ein Versicherungsfall könne bereits eingetreten sein. Solange der Versicherungsnehmer selbst einen solchen Schluss nicht zieht, etwa weil er andere Ursachen für ein ihm bekanntes Schadensbild vermutet oder er keine ausreichenden Überlegungen über die Schadensursache anstellt, hat er noch keine positive Kenntnis vom Versicherungsfall. Ein gegen ihn gerichteter Vorwurf erschöpft sich dann allenfalls darin, den sich aufdrängenden Schluss auf die Ursache fahrlässig – oder sogar grob fahrlässig – nicht gezogen und deshalb das Vorliegen eines Versicherungsfalls nicht erkannt zu haben.

Anders liegt es nur dann, wenn der Tatrichter aufgrund der Umstände des Einzelfalles anhand des Beispiels eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers beweiswürdigend die Überzeugung gewinnt und darlegt, der Versicherungsnehmer habe den sich aufdrängenden Schluss auf die nahe liegende Schadensursache tatsächlich gezogen und deshalb erkannt, dass dem Schaden Tatsachen zugrunde liegen, die ein versichertes Ereignis beschreiben.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 5. November 2014 – IV ZR 8/13

  1. BGH, Urteil vom 30.04.2008 – IV ZR 227/06, VersR 2008, 905 Rn. 18 ff. m.w.N.; vgl. auch BGH, Urteil vom 03.11.1966 – II ZR 52/64, VersR 1967, 56 unter – II 2 b[]
  2. BGH, Urteile vom 21.03.1990 – IV ZR 39/89, BGHZ 111, 44, 50 f.; vom 19.02.1992 – IV ZR 106/91, BGHZ 117, 213, 215[]