Solvabilität II

Das Europäische Parlament hat heute neue Regelungen für das Risikomanagement der Versicherungsbranche verabschiedet, die für mehr Krisenfestigkeit und Stabilität in der Versicherungswirtschaft Sorge tragen sollen und den aufsichtsrechtlichen Rahmen der Versicherungswirtschaft umfassend überarbeitet. Diese jetzt beschlossene Novelle (“Solvabilität II”) betrifft alle 14 bestehenden EU-Richtlinien zur Solvenz von Versicherungsunternehmen. Dem Parlamentsbeschluss vorausgegangen war eine entsprechende Einigung zwischen Parlament, Rat und Kommission.

Mit den neuen Regelungen sollen ausgereiftere Solvabilitätsanforderungen für Versicherungsunternehmen eingeführt werden. Da sich die Anforderungen an Versicherungen in den letzten 30 Jahren grundlegend verändert haben, sollen nun grundlegende Neuerungen hinsichtlich der Aufsicht und Bewertung der Kapitalausstattung von Versicherungen eingeführt werden. Dabei soll der Verbraucherschutz verbessert, die Beaufsichtigung modernisiert, die Marktintegration vertieft und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Versicherungsunternehmen gesteigert werden. Die Mitgliedsstaaten müssen die neuen Regeln bis spätestens Ende Oktober 2012 umzusetzen.

Finanzielle Stabilität und neue Risikoarten

Um die finanzielle Stabilität von Versicherungsunternehmen (und Rückversicherungsunternehmen) abzusichern, sollen anspruchsvollere Solvenzanforderungen eingeführt werden, die den Risiken gerecht werden, denen die Unternehmen heute ausgesetzt sind: dazu gehören auch Markt-, Kredit- und operationelle Risiken. Deshalb müssen die Versicherungen auch genügend Eigenmittel zur Absicherung dieser zusätzlichen Risiken bereitstellen. Diese neuen Risikoarten stellen eine wesentliche Bedrohung der Solvabilität der Versicherungsunternehmen dar. Sie sind aber bislang nicht durch das EU-System abgedeckt.

Kapitalausstattung: Neue transparente Kriterien

Die Richtlinie stellt ein neues Verhältnis zwischen den beiden zentralen Kriterien hinsichtlich der Höhe des Kapitals her, das Versicherungen besitzen sollten: gemeint sind das Solvency Capital Requirement (SCR) und das Minimum Capital Requirement (MCR). Das SCR wird nach einem Risiko-basierten Ansatz berechnet: Wenn das Kapital unter dieses Niveau fällt, sind aufsichtsrechtliche Eingriffe erforderlich. Die MCR ist niedriger – wird dieses unterschritten, muss dem Unternehmen die Lizenz entzogen werden. Der vereinbarte Text legt auch fest, dass das absolute Minimum für die MCR zwischen 25 und 45 Prozent des festgelegten SCR des Unternehmens ausmachen sollte. Das SCR wird hingegen auf der Grundlage von verschiedenen Variablen der Geschäftigkeit des Unternehmens berechnet. Der neuen Regelung zufolge müssten die Versicherungsunternehmen ihren Kapitalbedarf im Lichte sämtlicher Risiken mittels der internen Bewertung des Risikos und der Solvabilität ermitteln.

Auch sollen die Versicherungsunternehmen angehalten werden, sich auf eine aktive Identifikation, Bemessung und Handhabung von Risiken zu konzentrieren und künftige Entwicklungen wie neue Geschäftspläne oder die Möglichkeit des Eintretens von Katastrophen zu berücksichtigen, die ihre Bonität beeinträchtigen könnten.

Der neue Überwachungsansatz

In den neuen “Solvabilität II”-Regelungen soll zudem ein einzigartiges System für die Überwachung von Versicherungsunternehmen festgeschrieben werden. Mit einem neuen “Gruppenaufsichtssystem” soll die Aufsicht effizienter und rationaler gestaltet werden. Diese Aufsicht der jeweiligen Versicherungsgruppen soll in engem Einvernehmen mit den einschlägigen nationalen Aufsichtsbehörden ausgeübt werden. Das hieße, dass die Aktivitäten einer deutschen Versicherungsgruppe global von der bundesdeutschen Aufsichtsbehörde überwacht werden, um einen entsprechenden Überblick zu bekommen.

Die Einführung von für die Gruppenaufsicht zuständigen Behörden würde gewährleisten, dass gruppenweite Risiken nicht übersehen werden und eine effizientere Arbeitsweise von Versicherungsgruppen gestatten. Dabei sollen aber führende Vorgesetzte in die Entscheidungsfindung der Aufsicht mit eingebunden werden.

Das “aufsichtliche Überprüfungsverfahren” (‘Supervisory Review Process’/SRP) geht einher mit einer Verlagerung des Augenmerks der Versicherungsbehörden von der Überwachung der Einhaltung der Vorschriften und der Kapitalanforderungen hin zur Bewertung der Risikoprofile der Versicherungsunternehmen und der Qualität ihres Risikomanagements sowie ihrer Governance-Systeme.