Degenerative Vorschäden in der Unfallversicherung

Ist ein Unfall ursächlich für eine dauerhafte Schädigung im Schultergelenk, berechtigen degenerative Vorschäden des Schultergelenks, die vor dem Unfall weder behandlungsbedürftig waren noch zu einer Funktionsbeeinträchtigung geführt hatten, nicht zur Kürzung der Invaliditätsentschädigung1.

(Mit-)ursächlich für die Invalidität ist das Unfallereignis. Eine solche (Mit-)Kausalität genügt zur Begründung des Leistungsanspruchs2. Ohne den Unfall wäre eine Invalidität nicht so und nicht zu diesem Zeitpunkt eingetreten.

Soweit sich die Versicherung auf die Kürzung ihres Leistungsanspruches gemäß Ziff. 3 der AUB 2008 beruft, hat sie den ihr obliegenden Nachweis (vgl. § 182 VVG) des Mitwirkens von Krankheiten oder Gebrechen an der verursachten Gesundheitsschädigung oder deren Folgen nicht erbracht.

Gemäß § 182 VVG hat der Versicherer die Voraussetzungen für einen Wegfall oder eine Minderung des Anspruchs nachzuweisen. Dafür gelten die Regeln des Strengbeweises. Zweifel am Vorliegen einer mitwirkenden Krankheit oder eines mitwirkenden Gebrechens gehen daher zu Lasten des Versicherers.

Im vorliegenden Fall war zwar davon auszugehen, dass bei dem Versicherugnsnehmer nicht unerhebliche, über das geschlechts- noch altersentsprechende Maß hinausgehende, degenerative Vorschädigungen im Bereich des rechten Schultergelenks vorgelegen haben. Es ließ sich aber nicht feststellen, dass es sich dabei um „Krankheiten oder Gebrechen“ im Sinne von Ziff. 3 AUB 2008 handelte.

Für die Abgrenzung der beiden Begriffe sind folgende Definitionen allgemein anerkannt3:

Unter Krankheit ist ein regelwidriger – in der Regel heilbarer – Körper- oder Geisteszustand von einer gewissen (eher vorübergehenden) zeitlichen Dauer zu verstehen, der eine ärztliche Behandlung erfordert.

Als Gebrechen wird ein dauernder abnormer Gesundheitszustand verstanden, der die Ausübung normaler Körperfunktionen jedenfalls teilweise behindert4.

Vorliegend war der Versicherungsnehmer hinsichtlich seiner Vorschädigung weder behandlungsbedürftig gewesen oder hatte er unter irgendwelchen Funktionseinschränkungen vor dem Unfall gelitten. Ein behandlungsbedürftiger regelwidriger Körperzustand konnte daher beim Versicherungsnehmer nicht festgestellt werden.

Es kann auch nicht festgestellt werden, dass an der rechten Schulter des Versicherungsnehmers vor dem Unfall ein Gebrechen vorgelegen hätte. Der Sachverständige hat insoweit ausgeführt, trotz des objektiven klinischen Erscheinungsbildes sei es häufig so, dass solche Vorschädigungen klinisch stumm verliefen und die Betroffenen keinerlei Symptome verspüren und keinerlei Einschränkung des Schultergelenks bestehe.

Es lässt sich somit nicht feststellen, dass beim Versicherungsnehmer vor dem Unfall ein dauernder abnormer Gesundheitszustand, welcher eine einwandfreie Ausübung normaler Körperfunktionen nicht mehr zugelassen hätte, bereits vorgelegen hat.

Den ihr obliegenden Nachweis für die Voraussetzungen einer Leistungsminderung gemäß Ziff. 3 AUB 2008 hat die Versicherungsgesellschaft damit nicht erbracht.

Oberlandesgericht Stuttgart, Urteil vom 7. August 2014 – 7 U 35/14

  1. Anschluss an BGH, Beschluss v.08.07.2009, IV ZR 216/07[]
  2. vgl. Knappmann in Prölss/Martin, 28. A., § 178 VVG Rn. 18[]
  3. vgl. Bruck/Möller, 9.A., § 182 VVG, Rn. 6 m. w. N.[]
  4. vgl. z.B. BGH NJW-RR 2010, 39[]