Ewiges Widerspruchsrecht.

Die befristete Widerspruchsmöglichkeit des VN gem. §§ 5 a VVG a. F., 499, 495 BGB ist ungeachtet diskutierter europarechtlicher Bedenken wirksam. sie kann insb. nicht nach vollständiger Vertragsbeendigung ausgeübt werden.

Diese Regelung ist vor dem Hintergrund europäischen Rechts nicht zu beanstanden. Sie stellt sich insbesondere nicht als fehlerhafte Umsetzung der Bestimmungen in Art. 31 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang II Buchstabe A der Richtlinie 92/96 EWG des Rates vom 10.11.1992 bzw. Art. 36 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang III Buchstabe A der die erstgenannte Richtlinie ablösenden Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05.11.2002 dar. Zwar kann diese Regelung dazu führen, dass eine vertragliche Bindung des Verbrauchers ohne die in den Richtlinien geforderte vorherige ausreichende Information des Verbrauchers erfolgt. Hieraus kann der Versicherungsnehmer im vorliegenden Fall für sich aber keine Rechte ableiten. Insoweit kann den Richtlinien bereits nicht entnommen werden, welche Konsequenzen mit einer unterbliebenen Information des Verbrauchers verbunden sein sollen. Darüber hinaus könnte der Versicherungsnehmer aus einem etwaigen Verstoß gegen die Richtlinien keine unmittelbaren Ansprüche herleiten. Insbesondere führt eine fehlerhafte Umsetzung von Richtlinien nicht zur (Teil)Nichtigkeit des innerstaatlichen Rechts. So hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 05.10.20041 klargestellt, dass zwar ein Gebot richtlinienkonformer Auslegung besteht. Der Gerichtshof hat aber keine Auslegung contra legem autorisiert. In der Entscheidung heißt es unter anderem vielmehr:

Der Gerichtshof hat insoweit in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass eine Richtlinie nicht selbst Verpflichtungen für einen Einzelnen begründen kann, so dass ihm gegenüber eine Berufung auf die Richtlinie als solche nicht möglich ist… Daraus folgt, dass sogar eine klare, genaue und unbedingte Richtlinienbestimmung, mit der dem Einzelnen Rechte gewährt oder Verpflichtungen auferlegt werden sollen, im Rahmen eines Rechtsstreits, in dem sich ausschließlich Private gegenüberstehen, nicht als solche Anwendung finden kann… Vor allem den nationalen Gerichten obliegt es nämlich, den Rechtsschutz zu gewährleisten, der sich für den Einzelnen aus den gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen ergibt, und deren volle Wirkung sicherzustellen… Bei der Anwendung des innerstaatlichen Rechts, insbesondere der Bestimmungen einer speziell zur Umsetzung der Vorgaben einer Richtlinie erlassenen Regelung, muss das nationale Gericht das innerstaatliche Recht außerdem so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zweckes dieser Richtlinie auslegen, um das in ihr festgelegte Ergebnis zu erreichen und so Artikel 249 Absatz 3 EG nachzukommen.

Wenn der Europäische Gerichtshof dementsprechend lediglich eine Auslegung im Rahmen des Möglichen verlangt, dann kann diese Auslegung nur im Rahmen des nach nationalem Recht zulässigen Rahmens erfolgen2. Eine solche Auslegung scheitert im vorliegenden Fall allerdings am eindeutigen gesetzlichen Wortlaut. Insoweit ist die vorstehende Konstellation auch nicht vergleichbar mit dem Fall eines Widerrufs nach dem HWiG3.

Ist aber der Wortlaut einer Norm eindeutig und besteht damit keine Möglichkeit einer einschränkenden Interpretation, kann auch unter Hinweis auf das Gebot einer richtlinienkonformen Auslegung den Anforderungen einer Richtlinie lediglich durch den Gesetzgeber, nicht aber durch die nationalen Gerichte entsprochen werden.

Unabhängig hiervon ist ein Widerruf nach vollständiger Vertragsbeendigung nicht mehr möglich. Das Widerrufsrecht soll vor vertraglichen Bindungen schützen, die der Verbraucher möglicherweise übereilt, ohne gründliche Abwägung des Für und Wider eingegangen ist4. Allerdings steht dem Verbraucher insoweit ein Wahlrecht zu. Er kann widerrufen. Er muss es aber nicht und kann sich stattdessen für die Durchführung des Vertrags und die Inanspruchnahme der Versicherungsleistungen entscheiden. Das hat der Versicherungsnehmer im vorliegenden Fall getan mit der Folge, dass sein Wahlrecht erloschen ist5.

Daneben ist ein etwaiges Widerspruchsrecht des Versicherungsnehmers aber auch gemäß § 242 BGB verwirkt. Der Versicherungsnehmer hat nicht nur die Versicherungsleistungen in Anspruch genommen. Er hat darüber hinaus nach Beendigung des Vertrags zwei weitere Jahre abgewartet und erst dann dem Vertrag widersprochen. Damit hat der Versicherungsnehmer sowohl das für eine Verwirkung erforderliche Umstands als auch das Zeitmoment verwirklicht. Für die Annahme treuwidrigen Verhaltens sprechen auch Billigkeitsgesichtspunkte. Wollte man dem Versicherungsnehmer bei unterbliebener, bzw. vom Versicherer auch aufgrund des Zeitablaufs ggf. nur nicht mehr beweisbarer Belehrung über das Widerspruchsrecht eine zeitlich unbegrenzte Widerspruchsmöglichkeit zugestehen, könnte der Versicherungsnehmer quasi kostenlosen Versicherungsschutz in Anspruch nehmen. Wenn der Versicherungsfall während der Vertragslaufzeit eintritt, kann er die Leistungen des Versicherers in Anspruch nehmen. Wenn der Versicherungsfall demgegenüber nicht eintritt, kann er nach Vertragsbeendigung widersprechen und den Vertrag rückabwickeln. Das würde zu einer unvertretbaren Schlechterstellung des Versicherers und zu einem massiven Ungleichgewicht der beiderseitigen Leistungspflichten führen.

Der Versicherungsnehmer konnte den Versicherungsvertrag auch nicht gemäß §§ 495 Abs. 1, 355 BGB wirksam widerrufen. Auf die von dem Versicherungsnehmer geltend gemachten Ansprüche finden diese Bestimmungen keine Anwendung. Maßgeblich ist vielmehr das Bürgerliche Gesetzbuch in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung. Bei dem zwischen den Parteien vereinbarten Vertrag handelt es sich zwar um ein Dauerschuldverhältnis, auf das gemäß Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB seit dem 1.01.2003 das Bürgerliche Gesetzbuch grundsätzlich in der ab dem 1.01.2002 geltenden Fassung anzuwenden ist. Das gilt aber nicht für das Widerrufsrecht im Sinne von §§ 495 Abs. 1, 355 BGB. Das folgt bereits aus dem eindeutigen Wortlaut des Art. 229 § 9 EGBGB. Danach sind die vorzitierten Bestimmungen auf Dauerschuldverhältnisse nur anzuwenden, wenn diese nach dem 1.11.2002 entstanden sind. Es handelt sich insoweit um eine Spezialregelung im Verhältnis zu Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB. Dies ergibt sich bereits aus der Gesetzesbegründung, wonach die inhaltlichen Änderungen für Verbraucherverträge auf vor Inkrafttreten des OLGVertretungsänderungsgesetzes entstandene Schuldverhältnisse keine Anwendung finden sollen6. Anderenfalls würde dem Verbraucher ein Widerrufsrecht zugesprochen, das er nach der alten Rechtslage nicht hatte. Neue Widerrufsrechte sollten indes durch das Überleitungsrecht nicht geschaffen werden und sind mit der insoweit eindeutigen Regelung in Art. 229 § 9 EGBGB nicht vereinbar7.

Dem Versicherungsnehmer steht auch kein Widerrufsrecht auf der Grundlage des bis zum 31.12.2001 geltenden Rechts zu. Zwar sah auch das vor diesem Zeitpunkt geltende Verbraucherkreditgesetz in § 7 ein Widerrufsrecht und die Notwendigkeit einer entsprechenden Belehrung vor. Allerdings erlosch das Widerrufsrecht gemäß § 7 Abs. 2 Satz 3 VerbrKrG auch bei unterbliebener Belehrung spätestens ein Jahr nach Abgabe der auf den Abschluss des Kreditvertrages gerichteten Willenserklärung des Verbrauchers. Diese Frist war zum Zeitpunkt des Widerrufs durch den Versicherungsnehmer aber bereits abgelaufen und das Widerrufsrecht damit präkludiert. Auf einen etwaigen Verstoß gegen europäisches Recht kann sich der Versicherungsnehmer im Hinblick auf die Ausschlussfrist erneut nicht berufen. Insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen zur richtlinienkonformen Auslegung und ihren Grenzen Bezug genommen.

Darüber wäre auch ein auf §§ 495 Abs. 1, 355 BGB beruhendes Widerrufsrecht gemäß § 242 BGB verwirkt. Auch insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen zum Widerspruchsrecht gemäß § 5 a VVG a. F. Bezug genommen.

Unter diesen Umständen kann dahingestellt bleiben, ob es bei dem streitgegenständlichen Lebensversicherungsvertrag zu einer Zahlungserleichterung im Sinne von § 1 Abs. 2 VerbrKrG kam.

Oberlandesgericht Celle, Urteil vom 2. Februar 2012 – 8 U 125/11

  1. EuGH, Urteil vom 05.10.2004 – C-397/01[]
  2. vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.09.2011 – 2 BvR 2216/06[]
  3. vgl. BGH a. a. O.[]
  4. vgl. Grüneberg in: Palandt, BGB, 71. Aufl., § 355 Rn. 3[]
  5. vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 31.08.2011 – 20 U 81/11; OLG Köln VersR 2011, 245[]
  6. vgl. BT-Drucks. 14/9266 S. 50[]
  7. vgl. BGH VersR 2007, 503[]