Der Zeitpunkt der Behandlungsbedürftigkeit und der Beginn der Krankenversicherung

In der Krankheitskostenversicherung ist der Versicherungsfall nicht vor Beginn des Versicherungsschutzes eingetreten, wenn vor Beginn ein körperlicher Befund zwar Gegenstand einer ärztlichen Untersuchung war, der vom Arzt angeratene Verzicht auf eine ärztliche Heilbehandlung aus medizinscher Sicht aber eine gut vertretbare Alternative darstellte, weil die mit der Untersuchung begonnene Heilbehandlung auch wieder abgeschlossen wurde. Das Vorliegen einer Behandlungsbedürftigkeit im Sinne von § 1 Abs. 2 MB/KK bemisst sich nach objektiven Kriterien, wobei ein ebenfalls nach objektiven Kriterien zu bestimmender Entscheidungsspielraum eröffnet ist.

Versicherungsfall ist nach § 1 Abs. 2 AVB die medizinisch notwendige Heilbehandlung. Gemäß § 1 Abs. 2 S. 2 AVB beginnt der Versicherungsfall dabei mit der Heilbehandlung, d. h. der ärztlichen Tätigkeit, die durch die betroffene Krankheit verursacht worden ist, sofern die Leistung des Arztes von ihrer Art her in den Rahmen der medizinisch notwendigen Krankenpflege fällt und auf die Heilung oder Linderung der Krankheit abzielt, mag dieses Endziel auch erst nach Unterbrechungen oder mit Hilfe weiterer Ärzte erreicht werden. Der Versicherungsfall beginnt gem. § 1 Abs. 2 AVB nicht bereits mit der Erkrankung selbst, sondern erst mit der Heilbehandlung und endet danach nicht schon mit dem Abbruch oder Beendigung der Behandlung, sondern erst mit dem Wegfall der nach medizinischen Gesichtspunkten zu beurteilenden Behandlungsbedürftigkeit1.

Für die Frage, ob eine ärztliche Leistung als „Beginn der Heilbehandlung“ anzusehen ist, ist der richtige Bezugspunkt nicht der konkrete Auftrag des Patienten an den Arzt, sondern die behandlungsbedürftige Krankheit selbst. Das zeigt auch die Bestimmung über das Ende des Versicherungsfalls, der nämlich nicht schon damit endet, dass das Vertragsverhältnis mit dem jeweils behandelnden Arzt seinen Abschluss gefunden hat, sondern erst dann, wenn nach medizinischem Befund keine „Behandlungsbedürftigkeit“ mehr besteht, gleichgültig, wie viele Ärzte nebeneinander oder nacheinander zur Behandlung dieser Krankheit tätig geworden sind. Nach gefestigter Rechtsprechung beginnt die Heilbehandlung mit der ersten Inanspruchnahme einer solchen ärztlichen Tätigkeit, wobei zur Behandlung nicht nur die unmittelbare Heiltätigkeit, sondern auch schon die erste ärztliche Untersuchung, die auf ein Erkennen des Leidens abzielt, gehört, ohne Rücksicht darauf, ob sofort oder erst nach weiteren Untersuchungen eine endgültige und richtige Diagnose gestellt und mit den eigentlichen Heilmaßnahmen begonnen worden ist2.

Die Frage der Behandlungsbedürftigkeit bemisst sich nach objektiven Kriterien, wobei ein ebenfalls nach objektiven Kriterien zu bestimmender Entscheidungsspielraum eröffnet ist. Ist der Verzicht auf eine ärztliche Heilbehandlung aus medizinischer Sicht eine gut vertretbare Alternative, so ist die mit der Untersuchung begonnene Heilbehandlung auch wieder abgeschlossen. Unter medizinisch vertretbaren Alternativen kann dabei der behandelnde Arzt im Benehmen mit dem Patienten grundsätzlich frei wählen.

Im vorliegend entschiedenen Fall bedeutete dies: Die Entscheidung, die Implantatbehandlung im August 2008 nicht durchzuführen, stellt eine medizinisch vertretbare Vorgehensweise dar. Der behandelnde Zahnarzt hat sich damit in dem ihm eröffneten Beurteilungsspielraum bewegt. Es bestand bei der vorliegenden Fallkonstellation im August 2008 aus medizinischer Sicht die Möglichkeit mit einer Behandlung zu beginnen, wobei der Sachverständige auch noch die Reinigung der Brückenpfeiler als Alternative aufgezeigt hat. Daneben war es aber in gleichem Maße vertretbar, auf den Befund zeitnah keine weiteren ärztlichen Maßnahmen zu ergreifen. Im vorliegenden Fall war es im August 2008 nach der überzeugenden Einschätzung des Sachverständigen gut vertretbar, eine zeitnahe aufwendigen Implantatbehandlung nicht anzuraten, sondern damit bis zur Änderung des Zustands zuzuwarten, weil der Kläger beschwerdefrei war und sich sein Zahnzustand so dargestellte, dass er trotz der kariösen Ansätze am Kronenrand zunächst auf Mundhygiene verwiesen werden konnte. Die Implantatbehandlung ist damit erst nach Abschluss des Versicherungsvertrags und nach Ablauf der Wartezeit im Sinne einer Heilbehandlung notwendig gewesen. Ein so begründeter Abschluss ärztlicher Maßnahmen stellt ein Behandlungsende auch dann dar, wenn eine andere Entscheidung ebenfalls vertretbar gewesen wäre.

Oberlandesgericht Karlsruhe, Urteil vom 27. Juni 2013 – 12 U 127/12

  1. OLG Stuttgart VersR 2011, 1506[]
  2. BGH VersR 1978, 271; VersR 1996, 1224; OLG Stuttgart VersR 2011, 1506[]