Die folgende Belehrung des Versicherers genügt den Anforderungen der so genannten Relevanzrechtsprechung: „Bewusst unwahre oder unvollständige Angaben führen zum Verlust des Versicherungsschutzes auch dann, wenn dem Versicherer keinerlei Nachteile entstehen.”
Ob eine ordnungsgemäße Belehrung über die Folgen einer vorsätzlichen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit im Verlauf der Regulierungsverhandlungen wiederholt werden muss, ist aufgrund einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen.
Dies entschied jetzt der Bundesgerichtshof in einem Streit wegen falscher Angaben zum Verschlusszustand der Fenster und Türen.
Nach der so genannten Relevanzrechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann sich der Versicherer nur dann gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 VVG a.F. auf Leistungsfreiheit wegen einer vorsätzlichen folgenlosen Obliegenheitsverletzung berufen, wenn diese generell geeignet war, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden, und dem Versicherungsnehmer ein erhebliches Verschulden zur Last fiel 1. Die Leistungsfreiheit setzt weiter voraus, dass der Versicherer den Versicherungsnehmer vorher deutlich über den Anspruchsverlust belehrt hat, der ihm bei vorsätzlich falschen Angaben droht 2. Dabei handelt es sich um ein aus dem Grundsatz von Treu und Glauben abgeleitetes Korrektiv für die gravierenden Rechtsfolgen, die den Versicherungsnehmer bei Anwendung des „Alles-oder-Nichts-Prinzips” treffen können. Die Belehrung bezweckt insoweit den Schutz des Versicherungsnehmers vor einem drohenden Rechtsverlust bei falschen Angaben 3. Sie darf keinen Zweifel darüber lassen, dass der zu erstattende Schadenbericht, um den Anspruch auf die Versicherungsleistung nicht zu verlieren, vollständig und richtig sein muss und dazu auch die Beantwortung der im Schadenberichtsformular gestellten Fragen gehört, soweit der Versicherungsnehmer zu einer Beantwortung in der Lage ist 4.
Der Bundesgerichtshof hat im Hinblick hierauf die oben zitierte „Belehrung über die Aufklärungspflicht des Versicherungsnehmers” zu Recht für ausreichend gehalten. Eine gleich lautende Belehrung hat der Bundesgerichtshof bereits 1993 5 nicht beanstandet und die Sache deshalb an das Berufungsgericht zurückverwiesen, weil es zu Unrecht eine Obliegenheitsverletzung nach Eintritt des Schadenfalles verneint hatte. Nach der BGH-Rechtsprechung muss die Belehrung klar und unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass vorsätzlich falsche oder unrichtige Angaben des Versicherungsnehmers auch dann einen Anspruchsverlust nach sich ziehen, wenn der Versicherer keinen Nachteil erleidet 6. Dazu genügt der von der Beklagten verwendete Hinweis auf die Folgen „bewusst” unwahrer oder unvollständiger Angaben. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer wird daraus nicht schließen, dass schon die Kenntnis von der Unwahrheit oder Unvollständigkeit seiner Angaben zur Leistungsfreiheit des Versicherers führt. Vielmehr wird er die Belehrung so verstehen, dass er den Deckungsschutz verliert, wenn er die Aufklärungsobliegenheit wissentlich und willentlich, also vorsätzlich verletzt.
Allerdings betont der Bundesgerichtshof auch, dass auch eine richtige Belehrung nicht ohne weiteres für die gesamten Regulierungsverhandlungen fortgilt.
Zu dieser früher umstrittenen Frage hat der Bundesgerichtshof bereits im Beschluss vom 28. Februar 2007 7 Stellung genommen und betont, es bleibe eine Frage des Einzelfalles, ob der Versicherungsnehmer, der im Formular über die Schadenmeldung ordnungsgemäß belehrt worden sei, im Anschluss daran aufgrund besonderer Umstände erneut derart schutzwürdig erscheine, dass der Grundsatz von Treu und Glauben es dem Versicherer gebiete, die bereits gegebene Belehrung zu wiederholen. Das kann der Fall sein, wenn der Versicherungsnehmer bei einer späteren Nachfrage den Bezug zu den Fragen der Schadenmeldung und seiner Aufklärungsobliegenheit wegen einer besonderen Fragestellung nicht ohne weiteres erkennen kann oder eine Nachfrage nach besonders langer Zeit erfolgt und deshalb die Sorge begründet, der Versicherungsnehmer könne die ursprüngliche Belehrung nicht mehr vor Augen haben. Ob solche besonderen Umstände gegeben sind, kann nur aufgrund einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalles beantwortet werden und hängt auch davon ab, ob der Versicherungsnehmer ausreichende Anhaltspunkte dafür hat, sich an die frühere Belehrung zu erinnern. Jedenfalls hat der Bundesgerichtshof es nicht für geboten gehalten, die Belehrung losgelöst von den Fallumständen bei jeder Nachfrage des Versicherers zu wiederholen oder feste Fristen vorzusehen, nach deren Ablauf jeder Nachfrage eine erneute Belehrung beizufügen ist 8.
Das bedeutet im hier vom BGH entschiedenen Streifall: Seit der Belehrung in der Verhandlungsniederschrift vom 05.01.2006 war ein Zeitraum von fast fünf Monaten verstrichen. Schon deshalb war die Sorge begründet, dass der Versicherungsnehmer die ursprüngliche Belehrung nicht mehr vor Augen hatte. Inhalt und Verlauf des Gesprächs vom 30.05.2006 gaben dem Versicherungsnehmer keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, sich an die frühere Belehrung zu erinnern, weil ihm die Zeugen K. und Dr. P. nicht offenbarten, dass es in dem Gespräch auch um ergänzende Ermittlungen zur Brandursache und nicht nur um die Schadenhöhe ging. Zudem war die Beklagte zu diesem Zeitpunkt bereits in die Regulierung eingetreten und hatte erhebliche Akontozahlungen an den Versicherungsnehmer geleistet, so dass er annehmen durfte, das Regulierungsgespräch betreffe allein die Höhe der insgesamt zu leistenden Entschädigungen. Ob die beiden Zeugen den Versicherungsnehmer bewusst über die Bedeutung der in dem Gespräch erörterten Fragen im Unklaren ließen, kann dahinstehen. Jedenfalls war schon unter Berücksichtigung des Zeitablaufs und des Gesprächsinhalts eine Wiederholung der Belehrung naheliegend. Diese war nicht vor dem Hintergrund entbehrlich, dass jede Seite der Schadenschilderung vom 05.01.2006 eine gesonderte Belehrung über die Aufklärungsobliegenheit enthielt und vom Versicherungsnehmer unterschrieben wurde. Selbst wenn der Versicherungsnehmer damit – wie die Beklagte meint – in „ungewöhnlich intensiver Weise” belehrt wurde, musste er sich daran nicht nach Ablauf von knapp fünf Monaten in anderem Zusammenhang erinnern. Eine Wiederholung der Belehrung war nicht allein deshalb entbehrlich, weil der Versicherungsnehmer das Gespräch am 30.05.2006 im Beisein seiner späteren Prozessbevollmächtigten führte. Auch wenn der Versicherungsnehmer auf rechtliche Beratung Wert legte und dem Gespräch erhebliche Bedeutung beimaß, musste er nicht davon ausgehen, dass seine Erklärungen für den Grund des Anspruchs relevant sein konnten. Zu alledem verhält sich das Berufungsurteil nicht.
Unerheblich ist, dass der Versicherungsnehmer nicht aufgezeigt hat, welche inhaltlich abweichenden Angaben er gemacht hätte, wenn er zuvor darüber aufgeklärt worden wäre, dass der Gesprächszweck auch in der Überprüfung der Plausibilität seiner Angaben zum Hergang des Brandereignisses gelegen habe. Der Versicherungsnehmer hat nicht darzulegen, wie er sich bei ordnungsgemäßer und erforderlichenfalls wiederholter Belehrung verhalten hätte. Vielmehr führt das Fehlen der Belehrung ohne Einschränkung dazu, dass sich der Versicherer nicht auf Leistungsfreiheit berufen kann.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 22. Juni 2011 – IV ZR 174/09
- BGH, Beschlüsse vom 10.11.2010 – IV ZR 122/09, VersR 2011, 369 Rn. 16; vom 04.05.2009 – IV ZR 62/07, VersR 2009, 968 Rn. 9; BGH, Urteile vom 28.02.2007 – IV ZR 331/05, VersR 2007, 785 Rn. 15; vom 07.07.2004 – IV ZR 265/03, VersR 2004, 1117 unter 3; vom 21.01.1998 – IV ZR 10/97, VersR 1998, 447 unter 2 b; vom 07.12. 1983 – IVa ZR 231/81, VersR 1984, 228, 229; jeweils m.w.N.[↩]
- BGH, Beschlüsse vom 04.05.2009 aaO; vom 28.02.2007 – IV ZR 152/05, VersR 2007, 683 Rn. 2; BGH, Urteil vom 21.01.1998 aaO unter 2 c; jeweils m.w.N.[↩]
- BGH, Beschluss vom 28.02.2007 aaO[↩]
- BGH, Urteil vom 20.12. 1968 – IV ZR 510/68, VersR 1969, 214 unter III[↩]
- BGH, Urteil vom 21.04.1993 – IV ZR 34/92, VersR 1993, 828 unter 2 b[↩]
- BGH, Urteil vom 21.01.1998 aaO unter Bezugnahme auf das BGH, Urteil vom 20.12. 1972 – IV ZR 51/71, VersR 1973, 174 unter VI 2[↩]
- BGH, Beschluss vom 28.02.2007, aaO[↩]
- BGH, Beschluss vom 28.02.2007 aaO Rn. 3 m.w.N.[↩]