Keine Abtretung der Provisionsansprüche von Versicherungsvertretern

Zu den in § 203 Abs. 1 Nr. 6 StGB der Geheimhaltung unterworfenen Personen gehört auch ein selbständiger Versicherungsvertreter.

Bei einer privaten Personenversicherung sind nicht nur die vom Betroffenen preiszugebenden gesundheitlichen Daten geschützt. Auch der Umstand, dass ein Betroffener zur Absicherung bestehender oder künftiger gesundheitlicher Risiken finanzielle Vorsorgemaßnahmen getroffen hat, unterfällt der Geheimhaltungs-pflicht, da er Auskunft über die persönliche, der Öffentlichkeit nicht zugängliche wirtschaftliche Lebensgestaltung des Versicherungsnehmers gibt.

Die Abtretung von Provisionsansprüchen eines Versicherungsvertreters, der Personenversicherungen vermittelt, ist wegen der mit der Abtretung verbundenen Pflicht, dem Zessionar nach § 402 BGB die zur Geltendmachung der abgetretenen Forderung nötigen, jedoch der Geheimhaltung unterworfenen (§ 203 Abs. 1 Nr. 6 StGB) Auskünfte zu erteilen, nach § 134 BGB nichtig1.

Die ohne Zustimmung des Mandanten oder Patienten erfolgende Abtretung von Vergütungsansprüchen, die für Tätigkeiten gewährt werden, die mit einer nach § 203 StGB strafrechtlich sanktionierten Schweigepflicht verbunden sind, ist wegen der mit der Abtretung verbundenen Pflicht, dem Zessionar nach § 402 BGB die zur Geltendmachung der abgetretenen Forderung nötigen Auskünfte zu erteilen, in der Regel nach § 134 BGB nichtig2. Diese Grundsätze gelten in gleicher Weise für die Abtretung von Vergütungsansprüchen der in § 203 Abs. 1 Nr. 6 StGB aufgeführten Berufsgruppe. Denn auch diese Vorschrift schützt die Individualsphäre des Betroffenen, der beim Abschluss einer Unfall-, Kranken- oder Lebensversicherung regelmäßig Fragen über seinen Gesundheitszustand zu offenbaren hat3.

Zu dem in § 203 Abs. 1 Nr. 6 StGB genannten Personenkreis gehören auch selbständige Versicherungsvertreter, soweit sie den Abschluss von Unfallversicherungen, Krankenversicherungen oder Lebensversicherungen vermitteln.

Nach § 203 Abs. 1 Nr. 6 StGB wird das Offenbaren eines einem An-gehörigen eines Unternehmens der privaten Kranken-, Unfall- oder Lebensversicherung anvertrauten oder bekannt gewordenen Geheimnisses unter Strafe gestellt. Zu den Angehörigen der genannten Versicherungsunternehmen zählen neben deren Inhabern, Organen und Mitgliedern von Organen auch deren Bedienstete jeder Art4. Unter diesen Bediensteten sind nach Ansicht des Bundesgerichtshofs auch nicht nur die im Unternehmen als unselbständige Mitarbeiter tätigen Arbeitnehmer zu verstehen. Zwar zog der 1962 eingereichte Entwurf eines § 185 Abs. 1 Nr. 5 StGB als zur Geheimhaltung verpflichtete Bedienstete nur Amtsträger, Angestellte und Arbeiter in Betracht5. Dieser Entwurf wurde jedoch nicht als Gesetz verabschiedet.

Vielmehr trat zum 1. Januar 1975 die Bestimmung des § 203 Abs. 1 Nr. 6 StGB in Kraft, wobei der Gesetzgeber den Sammelbegriff „Angehöriger“ eines privaten Unternehmens der Kranken-, Unfall- und Lebensversicherung verwendet hat. Die Gesetzesmaterialien belegen, dass der hiervon erfasste Personenkreis nicht auf angestellte Mitarbeiter der genannten Personenversi-cherungen beschränkt ist, sondern sich nach dem Schutzzweck der Vorschrift auch auf die nicht als Angestellte tätigen selbständigen Versicherungsvertreter (§§ 92, 84 HGB) erstreckt. Der von der damaligen Bundesregierung ursprünglich vorgelegte Entwurf des § 203 Abs. 1 StGB sah noch keine Einbeziehung der privaten Personenversicherungen vor6. Dies beanstandete der Bundesrat als unerträgliche Verkürzung des Geheimnisschutzes der Privatversicherten gegenüber den durch eine Sozialversicherung abgesicherten Personen, die durch die von der Bundesregierung unterbreitete Fassung des § 203 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 StGB (Amtsträger und alle für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten) umfassend geschützt seien7. Daher verlangte er eine Einbeziehung der Angehörigen privater Personenversicherungen in den Kreis der strafrechtlichen Sanktionen unterworfenen Geheimnisträger. In dieser vom Bundesrat vorgeschlagenen und von der Bundesregierung8 sowie dem Sonderausschuss für die Strafrechtsreform9 aufgegriffenen Fassung wurde § 203 StGB dann in das Strafgesetzbuch aufgenommen.

Angesichts des vom Gesetzgeber angestrebten umfassenden Schutzes der Inhaber einer privaten Unfall-, Kranken- oder Lebensversicherung ist unter einem Angehörigen dieser Versicherungsunternehmen jede Person zu verste-hen, die aufgrund ihrer Funktion mit Geheimnissen des Versicherungsnehmers in Berührung kommen kann10. Damit sind alle Mitarbeiter eines Unternehmens in den Kreis der Geheimnisträger einbezogen, die mit der Anbahnung, Abwicklung oder Verwaltung solcher Versicherungsverträge befasst sind11. Hierzu gehört vor allem ein selbständiger Versicherungsvertreter12. Denn dieser nimmt gegenüber dem (potentiellen) Versicherungsnehmer diejenigen Aufgaben wahr, die ansonsten einem fest angestellten Außendienstmitarbeiter des Versicherungsunternehmens übertragen würden (Aufnahme des Antrags auf Abschluss einer Personenversicherung, Erhebung der hierfür erforderlichen Daten, Betreuung des Versicherungsnehmers etc.). In dieser Eigenschaft erfährt er alle persönlichen Daten des (künftigen) Versicherungsnehmers, die für den Abschluss einer solchen Versicherung von Bedeutung sind oder üblicherweise abgefragt werden. Ein umfassender Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Versicherungsnehmers ist daher nur dann gewährleistet, wenn auch der selbständige Versicherungsvertreter, der von einem Unternehmen der Personenversicherung mit der Gewinnung und/oder Betreuung von Privatversicherten betraut ist, einer Geheimhaltungspflicht unterworfen ist.

Die Einbeziehung selbständiger Versicherungsvertreter in den Kreis der nach § 203 Abs. 1 Nr. 6 StGB zur Geheimhaltung Verpflichteten steht auch nicht in Widerspruch dazu, dass der handelsrechtliche Ausgleichsanspruch des selbständigen Versicherungsvertreters als uneingeschränkt vererblich anerkannt worden ist13. Denn die Erben eines Geheimnisträgers nach § 203 Abs. 1 StGB unterliegen gemäß § 203 Abs. 3 Satz 2 StGB einer eigenen Geheimhaltungspflicht. Der Erbfall ist damit nicht einer rechtsgeschäftlichen Abtretung gleichzusetzen, für die es an einer entsprechenden Regelung fehlt. Dies verkennt die von Evers/Eikelmann14 vertretene gegenteilige Auffassung.

Gegen das sich hieraus ergebende Abtretungsverbot lässt sich nach Ansicht des Bundesgerichtshofs auch nicht einwenden, der selbständige Versicherungsvertreter, der mit der Vermittlung von Personenversicherungen betraut sei, sei im Falle der Abtretung seiner Vergütungsansprüche nicht gehalten, dem Zessionar nach § 402 BGB sensible, der Geheimhaltung unterliegende Daten zu offenbaren:

Diese Ansicht sieht den inhaltlichen Schutzbereich des § 203 Abs. 1 Nr. 6 StGB darauf beschränkt, sensible gesundheitliche Daten des Versicherungsnehmers vor dem Zugriff unbefugter Dritter zu bewahren. Die genannte Bestimmung stelle letztlich eine „Verlängerung“ des ärztlichen Berufsgeheimnisses dar15. Letzteres mag zwar zutreffen; dies ändert aber nichts daran, dass sich der Bereich der geschützten Tatsachen nicht auf den gesundheitlichen Zustand des Betroffenen beschränkt. Dies gilt schon im Rahmen der ärztlichen Schweigepflicht, die sich nicht nur auf die ärztliche Behandlung als solche, sondern bereits auf die Frage erstreckt, ob ein Betroffener überhaupt einen Arzt aufgesucht hat16.

Ähnlich liegen die Dinge bei einer privaten Personenversicherung. Geschützt sind hierbei nicht nur die vom Betroffenen preiszugebenden gesundheitlichen Daten. Zu der durch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG) und durch § 203 StGB gegen eine Preisgabe und unbefugte Verwendung geschützten persönlichen Daten und Lebenssachverhalten gehören auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Einzelnen17. Hierzu zählt auch die Tatsache, dass ein Betroffener zur Absicherung bestehender oder künftiger gesundheitlicher Risiken finanzielle Vorsorgemaßnahmen getroffen hat. Da dieser Umstand Auskunft über die persönliche, der Öffentlichkeit nicht zugängliche wirtschaftliche Lebensgestaltung des Versicherungsnehmers gibt, unterliegt er der Geheimhaltung nach § 203 Abs. 1 Nr. 6 StGB18. Erst recht erstreckt sich die Schweigepflicht auf den Umfang und den Inhalt eines solchen Vertrags19. Soweit die Revision aus dem Umstand, dass Sachversicherungen nicht in den Schutzbereich des § 203 Abs. 1 StGB einbezogen sind, den Schluss ziehen will, dass das Bestehen eines Versicherungsvertrages nicht vom Schutzzweck des § 203 Abs. 1 Nr. 6 StGB erfasst sein könne20, übersieht sie, dass der Gesetzgeber zwar nur private Personenversicherungen in den Schutzbereich der genannten Vorschrift einbezogen hat, diese aber umfassend geschützt wissen will.

Die in Frage stehende Abtretung zieht gemäß § 402 BGB die Verpflichtung der Zedentin nach sich, dem Zessionar auch der Geheimhaltung unterliegende Daten zu offenbaren, um diesem die Durchsetzung der abgetretenen Ansprüche zu ermöglichen. Um Zahlungsansprüche gegen die Beklagte mit Aussicht auf Erfolg geltend machen zu können, ist der Abtretungsempfänger darauf angewiesen, sämtliche zur Individualisierung der maßgeblichen Vertragsverhältnisse oder Versicherungsanträge erforderlichen Angaben von der Zedentin direkt zu erhalten oder über deren an ihn abgetretene Auskunfts- und Abrechnungsansprüche (§ 87c HGB) von der – Dritten gegenüber ebenfalls der Geheimhaltungspflicht nach § 203 Abs. 1 Nr. 6 StGB unterliegenden – Beklagten in Erfahrung zu bringen. Daraus folgt, dass sowohl die Abtretung der Zahlungsansprüche als auch die Übertragung der in § 87c HGB vorgesehenen Hilfsrechte nach § 134 BGB wegen Verstoßes gegen § 203 Abs. 1 Nr. 6 StGB unwirksam ist, und zwar unabhängig davon, ob die genannten Hilfsansprüche eigenständig abtretbar sind oder nicht.

Eine Verletzung der ihr obliegenden Schweigepflicht ist auf Seiten der Zedentin auch nicht deswegen ausgeschlossen, weil das Vertragsverhältnis zwischen der Zedentin und der Beklagten seit dem 31. März 2004 beendet ist. Denn ein unbefugtes Offenbaren ist auch nach dem Ausscheiden des Funktionsträgers aus seiner Tätigkeit möglich21.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 10. Februar 2010 – VIII ZR 53/09

  1. im Anschluss an BGHZ 115, 123, 124 ff. [Zahnarzt]; 122, 115, 117 ff. [Rechtsanwalt vor Inkrafttreten des § 49b Abs. 4 BRAO]; BGH, Urteile vom 05.12.1995 – X ZR 121/93, NJW 1996, 775 [Zahnarzt]; vom 17.10.1996 – IX ZR 37/96, NJW 1997, 188; vom 11.11.2004 – IX ZR 240/03, NJW 2005, 507 [jeweils zur Abtretung von Honoraransprüchen eines Rechtsanwalts vor Inkrafttreten des § 49b Abs. 4 BRAO]; ferner BGH, Beschluss vom 17.02.2005 – IX ZB 62/04, NJW 2005, 1505 [Arzt][]
  2. st. Rspr., vgl. etwa BGHZ 115, 123, 124 ff. [Zahnarzt]; 122, 115, 117 ff. [Rechtsanwalt vor Inkrafttreten des § 49b Abs. 4 BRAO]; BGH, Urteile vom 05.12.1995 – X ZR 121/93, NJW 1996, 775 [Zahnarzt]; vom 17.10.1996 – IX ZR 37/96, NJW 1997, 188; vom 11. November 2004 – IX ZR 240/03, NJW 2005, 507 [jeweils zur Abtretung von Honoraransprüchen eines Rechtsanwalts vor Inkrafttreten des § 49b Abs. 4 BRAO]; ferner BGH, Beschluss vom 17.02.2005 – IX ZB 62/04, NJW 2005, 1505 [Arzt]; jeweils m.w.N.[]
  3. vgl. etwa Schünemann in: Leipziger Kommentar zum StGB, 11. Aufl., § 203 Rdnr. 70; Hoyer in: SK-StGB, § 203 Rdnr. 46[]
  4. vgl. hierzu etwa MünchKommStGB/Cierniak, 2003, § 203 Rdnr. 37; Fischer, StGB, 57. Aufl., § 203 Rdnr. 18; Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl., § 203 Rdnr. 6; Lenckner in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl., § 203 Rdnr. 41; Rein, VersR 1976, 117, 118 f.[]
  5. vgl. Entwurf eines Strafgesetzbuches – E 1962 mit Begründung, Bundestagsvorlage, BT-Drs. IV/650, S. 42, 336 f.; Rein, aaO, S. 118[]
  6. BT-Drs. 7/550, S. 21, 238[]
  7. BT-Drs. 7/550, S. 472, 473; vgl. ferner Rein, aaO; Ayasse, VersR 1987, 536 f.[]
  8. BT-Drs. 7/550, S. 495[]
  9. BT-Drs. 7/1261, S. 16[]
  10. vgl. hierzu Cierniak, aaO; Fischer, aaO; Lenckner, aaO[]
  11. Schünemann, aaO; Hoyer, aaO; Bosch in: Satzger/Schmitt/Widmaier, StGB 2009, § 203 Rdnr. 17[]
  12. so auch die überwiegende Meinung im Schrifttum: Schünemann, aaO; Hoyer, aaO; Cierniak, aaO; Lackner/Kühl, aaO; Lenckner, aaO; NK-Kargl, StGB, 3. Aufl. § 203 Rdnr. 36; Rein, aaO, 118 f.; Ayasse, aaO, 537; Köpke, Die Bedeutung des § 203 Abs. 1 Nr. 6 StGB für private Krankenversicherer, insbesondere bei der innerorganisatorischen Geheimnisweitergabe, 2003, S. 27; a.A. Evers/Eikelmann, VW 2009, 529 f.[]
  13. vgl. hierzu BGHZ 45, 268, 274[]
  14. a.a.O.[]
  15. so auch Schünemann, aaO; Hoyer, aaO[]
  16. vgl. BGHSt 45, 363, 366 zu § 53 StPO[]
  17. vgl. BVerfG, NJW 2002, 2164, 2165 m.w.N.[]
  18. vgl. hierzu Schünemann, aaO, Rdnr. 29; Fischer, aaO, Rdnr. 6; Cierniak, aaO, Rdnr. 24; Rein, aaO, S. 120; Frels, VersR 1976, 511, 512; Ayasse, aaO; Hegmanns/Niehaus, NStZ 2008, 57; Köpke, aaO, S. 32; jeweils m.w.N.[]
  19. Cierniak, aaO; Rein, aaO; Ayasse, aaO; Köpke, a.a.O.[]
  20. so auch Evers/Eikelmann, a.a.O.[]
  21. vgl. etwa Cierniak, aaO, Rdnr. 30; Lackner/Kühl, aaO, Rdnr. 16; NK-Kargl, aaO, Rdnr. 28[]