Krankengeld für freiwillig versicherte Selbständige

Die Höhe des Krankengelds bei – in der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig versicherten – Selbstständigen ist anhand des Arbeitseinkommens zu bestimmen, das in dem Einkommenssteuerbescheid, der der Beitragserhebung zum Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit zugrunde lag, dokumentiert ist. Eine konkrete Ermittlung des tatsächlichen Arbeitseinkommens ist nicht nötig. § 47 Abs 4 Satz 2 SGB 5 ist nicht als widerlegliche Vermutung auszulegen.

Die Auslegung des § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V als widerlegbare Vermutung überzeugte das Sozialgericht Reutlingen nicht, da sie im Wortlaut der Norm keinen Stütze findet. Dem Wortlaut der Norm lässt sich keinerlei Hinweis auf eine Vermutungsregelung entnehmen. Das Sozialgericht geht davon aus, dass der Gesetzgeber, wenn er eine Vermutungsregelung schaffen möchte, dies auch klar zum Ausdruck bringt.

Als Beispiel sollen hier genannt werden: § 7 Abs. 3 a SGB II. Der dortige Wortlaut: „Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn (…)“. In § 120 Abs. 2 S. 1 SGB III wird formuliert: „Bei Schülern oder Studenten einer Hochschule, (…) wird vermutet, dass sie nur versicherungsfreie Beschäftigungen ausüben können“. Weiter heißt es in S. 2: „Die Vermutung ist widerlegt, wenn der Schüler oder Student (…)“. In § 46 Abs. 2a SGB VI ist geregelt: „Witwen oder Witwer haben keinen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen“. Auch die Zugangsfiktion in § 37 Abs. 2 SGB X, nach der ein schriftlicher, postalisch übermittelter Verwaltungsakt am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben gilt, wird durch S. 3 der Vorschrift „dies gilt nicht, wenn“ klar als Vermutungsregelung gekennzeichnet.

Derartiges ist für das Sozialgericht in § 47 Abs. 4 S. 2 SGB V nicht ersichtlich. Aus Sicht des Sozialgerichts wollte der Gesetzgeber keine Vermutungsregelung schaffen, sondern entsprechend dem, auch vom Bundessozialgericht angesprochenen, Gesichtspunkt der Verwaltungspraktikabilität1 den Vorrang geben. Der Verwaltungspraktikabilität entspricht es jedoch am meisten, wenn bei der Berechnung des Kranken-/Mutterschaftsgelds der Betrag ohne weitere Nachprüfung zugrunde gelegt wird, der als Arbeitseinkommen (!) zuletzt der Beitragsbemessung zugrunde lag. Wohl gemerkt, der Betrag, der das Arbeitseinkommen kennzeichnet und nicht die Mindestbemessungsgrundlage. Dies dürfte regelmäßig ohne weitere Ermittlungen möglich sein, und zwar auch in den Fällen, in denen die Mindestbeitragsbemessungsgrundlage zur Anwendung kam. Denn die Bemessung nach der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage liegen – davon geht die Kammer aus – ebenfalls die Kenntnisnahme des letzten aktuellen Steuerbescheids nebst den darin ausgewiesenen Einkünften aus selbständiger Tätigkeit, die nur die Mindestbemessungsgrundlage unterschritten, zugrunde.

Sozialgericht Reutlingen, Urteil vom 24. Juni 2010 – S 14 KR 3892/09

  1. beispielsweise BSG, Urteil vom 14.12.2006 – B 1 KR 11/06 R[]