Gemäß § 4 Abs. 6 MB/KK 76 leistet der Versicherer im vertraglichen Umfang für Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden und Arzneimittel, die von der Schulmedizin überwiegend anerkannt sind. Er leistet darüber hinaus für Methoden und Arzneimittel, die sich in der Praxis als ebenso erfolgversprechend bewährt haben oder die angewandt werden, weil keine schulmedizinischen Methoden oder Arzneimittel zur Verfügung stehen. Entsprechend der Überschrift des § 4 MB/KK 76 und dem Standort der Klausel regelt § 4 Abs. 6 MB/KK 76 lediglich den Umfang der Leistungspflicht. Daneben ist stets auch die medizinische Notwendigkeit der Maßnahme zur Heilbehandlung einer Krankheit gemäß § 1 Abs. 2 MB/KK 76 zu prüfen1.
Gegen die Wirksamkeit der Bestimmung des § 4 Abs. 6 MB/KK 76, die als Nachfolgeklausel der vom Bundesgerichtshof für unwirksam angesehenen „Wissenschaftsklausel“2 eingeführt wurde, bestehen für das Oberlandesgericht Karlsruhe keine Bedenken3.
Eine andere rechtliche Beurteilung hinsichtlich der Frage, ob es sich bei Behandlungsmethoden und Arzneimittel, für welche die Versicherten Kostenerstattung begehren, um solche handelt, die angewandt werden, weil keine schulmedizinischen Methoden oder Arzneimittel zur Verfügung stehen (§ 4 Abs. 6 S. 2 2. Alt. MB/KK 76), ergibt sich auch nicht im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 30.10.20134. Hiernach ist – bei entsprechendem Sachvortrag der Parteien – in Fällen einer unheilbaren, lebenszerstörenden Krankheit des Versicherungsnehmers festzustellen, welchem Ziel die vorhandenen schulmedizinischen Behandlungsansätze jeweils dienen und welchen Erfolg sie versprechen. Als vorrangiges Behandlungsziel ist nach Möglichkeit stets die Heilung der Krankheit anzustreben, während die Verhütung einer Verschlimmerung oder die bloße Linderung von Krankheitsbeschwerden regelmäßig nachrangige Behandlungsziele sind. Bietet die Schulmedizin nur noch palliative, d.h. auf die Reduzierung der Krankheitsfolgen gerichtete Therapien an, weil sie jede Möglichkeit kurativer Behandlung als aussichtslos erachtet, kommt die Notwendigkeit einer Alternativbehandlung schon dann in Betracht, wenn sie eine durch Indizien gestützte Aussicht auf einen über die palliative Standardbehandlung hinausreichenden Erfolg bietet5. Eine entsprechende Klärung im Rechtsstreit auf der Grundlage sachverständiger Beratung setzt jedoch zunächst substantiierten Sachvortrag der darlegungs- und beweisbelasteten Partei – vorliegend der Versicherungsnehmer – zu den Behandlungszielen der schulmedizinisch anerkannten und der einzelnen im Streit befindlichen Behandlungsmaßnahmen voraus. Hieran fehlt es vorliegend. Die Remission einer Erkrankung ist vielmehr gekennzeichnet durch das temporäre oder dauerhafte Nachlassen von Krankheitssymptomen, jedoch gerade ohne Erreichen der Genesung.
Die Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen der Leistungspflicht auch bei der Anwendung von Methoden außerhalb der Schulmedizin – etwa für Arzneimittel und Behandlungsmethoden, die sich in der Praxis als ebenso erfolgversprechend bewährt haben wie von der Schulmedizin überwiegend anerkannte Methoden und Arzneimittel (§ 4 Abs. 6 S. 2 1. Alt. MB/KK 76) – trägt der Versicherungsnehmer. Er muss neben der medizinischen Notwendigkeit der Maßnahme auch darlegen und beweisen, dass sich die angewandte Methode bzw. die angewandten Arzneimittel in der Praxis als ebenso erfolgversprechend bewährt haben6.
Die Methoden und Arzneimittel der alternativen Medizin müssen in ihrem jeweiligen Anwendungsbereich aufgrund praktischer Erfahrung geeignet sein, den angestrebten Erfolg der Heilbehandlung i. S. v. § 1 Abs. 2 MB/KK 76 ebenso zu bewirken wie Methoden und Arzneimittel der Schulmedizin, es muss die gleiche Erfolgsprognose bestehen7.
Ob eine solche Eignung angenommen werden kann, ist objektiv auf der Grundlage der maßgeblichen medizinischen Gesichtspunkte des Einzelfalles und mit Rücksicht auf die Besonderheiten der Erkrankung und der auf sie bezogenen Heilbehandlung zu bestimmen. Dabei muss die gewählte Behandlungsmethode auf einem nach medizinischen Erkenntnissen nachvollziehbaren Ansatz beruhen, der die prognostizierte Wirkweise der Behandlung auf das angestrebte Behandlungsziel zu erklären vermag8. Einer solchen Annahme steht nicht entgegen, dass eine Behandlungsmethode noch nicht in der medizinischen Literatur nach wissenschaftlichem Standard dokumentiert und bewertet worden ist. Liegen entsprechende Veröffentlichungen vor, können sie zwar für die Beurteilung der Eignung und medizinischen Notwendigkeit der Heilbehandlung bedeutsam sein. Andererseits kann auf eine bisher fehlende Veröffentlichung die Verneinung der Eignung und medizinischen Notwendigkeit der Behandlung nicht gestützt werden9. In gleicher Weise ist zu berücksichtigen, ob entsprechende Behandlungen schon zuvor in einer solchen Anzahl stattgefunden haben, die Aussagen darüber zulässt, ob die Behandlung den mit ihr erstrebten Erfolg mit derselben Erfolgsprognose wie die Schulmedizin zu erreichen geeignet ist10. Dabei ist die grundsätzliche Eignung der Behandlungsmethode bzw. der angewandten Arzneimittel als solche entscheidend. Unerheblich ist demgegenüber, ob die angewandten Behandlungsmethoden und Arzneimittel gerade im konkreten Fall wirksam waren.
Oberlandesgericht Karlsruhe, Urteil vom 13. März 2014 – 12 U 133/13
- Bach/Moser, PKV, 4. Aufl.2009, § 4 MB/KK, Rn. 54[↩]
- vgl. BGHZ 123, 83[↩]
- OLG Karlsruhe, Urteil v. 31.08.2000 – 19 U 243/00 10; Bach/Moser, a.a.O., § 4 MB/KK, Rn. 57; vgl. BGH Urteil v. 30.10.2002 – IV ZR 60/01 23 ff. zum gleichlautenden § 4 Abs. 6 MB/KK94[↩]
- BGH, Urteil vom 30.10.2013 – IV ZR 307/12, VersR 2013, 1558[↩]
- vgl. BGH, a.a.O.[↩]
- Bach/Moser, a.a.O., § 4 MB/KK, Rn. 58[↩]
- BGH, NJW 2003, 294 20; OLG Köln, Beschluss vom 26.02.2010 – 20 U 159/09 5[↩]
- BGH, Urteil v. 10.07.1996 – IV ZR 133/95 22 f.[↩]
- BGH, Beschluss vom 30.10.2013 – IV ZR 307/12 18[↩]
- BGH, a.a.O., BGH, Urteil v. 10.07.1996 – IV ZR 133/95 23 f.[↩]