Anzeigepflicht bei einer nicht veranlassten Gefahrerhöhung in der Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung

Für die Anzeigepflicht bei einer nicht veranlassten Gefahrerhöhung enthalten die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Unternehmensleitern und Leitenden Angestellten (ULLA) eine abschließende Regelung, die einen Rückgriff auf die gesetzlichen Vorschriften der §§ 27, 28 VVG a.F. ausschließt.

In der Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Unternehmensleitern und Leitenden Angestellten verspricht der Versicherer dem Versicherungsnehmer Versicherungsschutz unter anderem für den Fall, dass eine versicherte Person wegen einer bei Ausübung der organschaftlichen Tätigkeit bei der Versicherungsnehmerin begangenen Pflichtverletzung für einen Vermögensschaden auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird. Der Versicherungsschutz umfasst sowohl die gerichtliche und außergerichtliche Abwehr unbegründeter als auch die Befriedigung begründeter Schadensersatzansprüche (vgl. Nr. 1 Abs. 1, Nr. 3.2 Abs. 1, Nr. 4.1 ULLA). Diese Voraussetzungen sind hier unstreitig erfüllt.

Der Versicherer kann den Versicherungsschutz nicht deshalb verweigern, weil die Versicherungsnehmerin den Beherrschungswechsel der Versicherung nicht unverzüglich nach § 27 Abs. 2 VVG a.F. angezeigt hat.

Es kann hier dahinstehen, ob durch den Beherrschungswechsel eine Gefahrerhöhung eingetreten ist1, denn selbst wenn dies hier angenommen wird, enthalten die Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Versicherung abschließende Regelungen, die weil sie für die Versicherungsnehmerin günstiger sind als die gesetzlichen Bestimmungen für einen Rückgriff auf die §§ 27, 28 VVG a.F. keinen Raum lassen. Eine um Verständnis bemühte Versicherungsnehmerin entnimmt den Nrn. 9.2.1 und 9.2.2 der ULLA, dass sie für die nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hier allein in Betracht kommende nicht veranlasste d.h. unabhängig vom Willen der Versicherungsnehmerin eingetretene Gefahrerhöhung keine Anzeigepflicht i.S. der §§ 27, 28 VVG a.F. trifft.

Nr. 9.2.1 ULLA regelt die Anzeigepflichten der Versicherungsnehmerin. Bereits diese Regelung, die sich allein auf veranlasste Gefahrerhöhungen bezieht, wie der Hinweis in Nr. 9.2.1 Abs. 3 auf „verursachte Gefahrerhöhungen“ zeigt, enthält eine gegenüber den §§ 27, 28 VVG a.F. für die Versicherungsnehmerin günstigere Regelung von Anzeigepflichten während der Vertragslaufzeit. Nach Nr.9.2.1 Abs. 2 ist die Versicherungsnehmerin verpflichtet, dem Versicherer unverzüglich die nach Vertragsschluss eintretenden, die übernommene Gefahr erhöhenden Umstände „auf Befragen“ des Versicherers mitzuteilen. Eine Verpflichtung der Versicherungsnehmerin, die Beklagte über alle nach Vertragsschluss eintretenden gefahrerhöhenden Umstände in Kenntnis zu setzen, besteht damit erst nach Erhalt einer Aufforderung des Versicherers. Erst dann hat sie Mitteilung darüber zu machen, ob und welche Änderung in dem versicherten Risiko gegenüber den zum Zwecke der Beitragsbemessung gemachten Angaben eingetreten ist. Diese Regelung stellt gegenüber den gesetzlichen Vorschriften eine begünstigende Abweichung dar, die einen Rückgriff auf die §§ 23 ff. VVG a.F. ausschließt2. Bei veranlassten Gefahrerhöhungen, die nach Vertragsschluss eintreten, besteht mithin eine Anzeigepflicht nur „auf Befragen“.

Mit Rücksicht hierauf scheidet auch bei der nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hier allein in Betracht kommenden nicht veranlassten Gefahrerhöhung ein Rückgriff auf die §§ 27, 28 VVG a.F. aus.

Die nicht veranlasste Gefahrerhöhung wird nur bei den Rechtsfolgen in Nr.9.2.2 a) Abs. 2 ULLA genannt. Danach steht dem Versicherer für den Fall, dass nach Abschluss des Versicherungsvertrages eine Gefahrerhöhung unabhängig vom Willen der Versicherungsnehmerin eintritt, ein Kündigungsrecht mit einmonatiger Kündigungsfrist zu. Eine Anzeigepflicht der Versicherungsnehmerin ist hier nicht erwähnt.

Da es sich bei der in Nr.9.2.1. ULLA vorgesehenen Anzeigepflicht „auf Befragen“ um eine Erleichterung gegenüber den gesetzlichen Vorschriften handelt und diese für veranlasste Gefahrerhöhungen gilt, muss eine um Verständnis bemühte Versicherungsnehmerin nicht damit rechnen, dass im Fall einer nicht veranlassten Gefahrerhöhung ein strengerer Maßstab gilt, nämlich eine Anzeigepflicht ohne Befragen unter Rückgriff auf die gesetzlichen Vorschriften besteht: Wenn es schon bei einer veranlassten Gefahrerhöhung eine Anzeigepflicht nur auf Befragen gibt, so kann bei einer nicht veranlassten Gefahrerhöhung kein strengerer Maßstab gelten. In dieser Auffassung wird die Versicherungsnehmerin durch die in Nr.9.2.2 enthaltene Kündigungsregelung bestärkt werden, die bei einer nicht veranlassten Gefahrerhöhung eine weniger gravierende Rechtsfolge vorsieht. Die Versicherungsnehmerin entnimmt als Rechtsfolge einer Anzeigepflichtverletzung bei der veranlassten Gefahrerhöhung nach Nr.9.2.1 Abs. 2 der Nr.9.2.2 a) Abs. 1 ULLA die Möglichkeit der fristlosen Kündigung des Versicherers. Der Nr.9.2.2 a) Abs. 2 ULLA, die für die nicht veranlasste Gefahrerhöhung gilt, entnimmt sie hingegen wie erwähnt , dass der Versicherer nicht fristlos, sondern nur mit einer Kündigungsfrist von einem Monat kündigen kann. Die Kündigungsmöglichkeit ist damit gegenüber der veranlassten Gefahrerhöhung eingeschränkt. Ein Rückgriff auf die gegenüber den Regelungen der ULLA strengeren gesetzlichen Vorschriften ist bei dieser Ausgestaltung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Versicherung für eine verständige Versicherungsnehmerin nicht zu erwarten.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 12. September 2012 – IV ZR 171/11

  1. zur Gefahrerhöhung BGH, Urteile vom 11.12.1980 IVa ZR 18/80, BGHZ 79, 156, 159, vom 06.06.1990 IV ZR 142/89, VersR 1990, 881, 882 und vom 05.05.2004 IV ZR 183/03, VersR 2004, 895, 896; bei der D&OVersicherung z.B. MünchKomm-VVG/Ihlas, §§ 100191 D&O Rn. 188; Lange, AG 2005, 459, 464 f.; Voit in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. AVB-AVG Nr. 7 Rn. 3[]
  2. Koch, GmbHR, 2004, 288, 296[]