Die Auslegung einer Agrarpolice – „Grünland“

Bei der Auslegung einer sog. Agrarpolice tritt an die Stelle eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers ein durchschnittlicher Landwirt.

Dieser muss nicht annehmen, dass mit Grünland auch Heideland gemeint ist.

In dem vorliegend vom Oberlandesgericht Celle entschiedenen Fall ging der Streit vorliegend allein darum, ob der Landwirt bei Antragstellung unter „selbstbewirtschaftete Fläche (einschließlich Stilllegungsfläche und Pachtland)“ auch die Heidefläche anzugeben hatte. Das Oberlandesgericht Celle verneinte dies.

Die erste Frage ist damit diejenige nach der Auslegung des Begriffs „Grünland“. Sie ist dahingehend zu beantworten, dass im vorliegenden Zusammenhang Heidefläche davon nicht erfasst ist.

Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung nicht wie Gesetze, sondern so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs sie verstehen muss. Dabei kommt es in der Regel auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse an1. Maßstab ist der um Verständnis bemühte Versicherungsnehmer2. Ein solcher Versicherungsnehmer geht vom Wortlaut der Klausel aus3. Der Wortlaut ist in erster Linie maß-gebend4.

Werden Versicherungsverträge – wie hier – typischerweise mit einem und für einen bestimmten Personenkreis geschlossen, so sind die Verständnismöglichkeiten und Interessen der Mitglieder dieses Personenkreises maßgebend4. Dieser Rechtsprechung wird man Bedeutung auch beimessen können für die Formulierung von Fragen in einem Antragsformular, das der – zukünftige – Versicherungsnehmer auszufüllen hat. Das Abstellen insbesondere auf Grünland und Pachtfläche findet sich ohnehin auch in den AVB der Versicherungsgesellschaft (Ziffer E 12.3 zur Unterversicherung).

Die Argumentation, es sei auf die Frage der Farbe abzustellen – die Heide sei eben nicht grün, erschöpft zwar die Problematik nicht. Im Ergebnis aber ist sie zutreffend. Ein durchschnittlicher Landwirt, der hier an die Stelle eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers tritt, darf zwischen Grün- und Heideland differenzieren, weil es insoweit durchaus nennenswerte Unterschiede gibt. Gerade dann, wenn man mit der Versicherungsgesellschaft auf das Risiko abstellt, gibt es solche Unterschiede deswegen, weil Heideland deutlich weniger wertvoll ist.

Der Antrag lässt nicht hinreichend sicher erkennen, dass die Versicherungsgesellschaft davon ausgeht, dass jedwede Fläche unter die im Antrag genannten Begriffe Ackerfläche, Grünland und Forstfläche subsumiert werden muss, was dann für den Landwirt möglicherweise Anlass gegeben hätte, bei der Versicherungsgesellschaft nachzufragen. Der Antrag lässt auch das Verständnis zu, dass es der Versicherungsgesellschaft auf andere Flächen wie auch Heideflächen insbesondere wegen ihrer geringeren Bedeutung für einen Versicherer eben nicht ankommt. Nach einer Gesamtfläche ist im Antragsformular nicht gefragt; eine solche Frage hätte Unklarheiten der hier zu beurteilenden Art vermeiden können, denn für diesen Fall wäre eine offenkundige Differenz zwischen der genannten und der gesamten Fläche zutage getreten.

Der vom Oberlandesgericht zugrunde gelegten Auffassung, dass der Landwirt nicht davon aus-gehen musste, dass Heideland Grünland ist, steht nicht der Grundsatz entgegen, dass dann, wenn Allgemeine Versicherungsbedingungen einen Ausdruck enthalten, den die Rechtssprache mit einem fest umrissenen Begriff verwendet, im Zweifel anzunehmen ist, dass auch die Allgemeinen Versicherungsbedingungen darunter nichts anderes verstehen wollen, was umso mehr gilt, wenn auch die allgemeine Sprache dem Ausdruck keinen unterschiedlichen Inhalt gibt5. Das Oberlandesgericht Celle kann nicht erkennen, dass es einen solchen allgemeingültigen Begriffsinhalt für Grünland oder Heideland gibt. Gegenteiliges hat die Versicherungsgesellschaft jedenfalls mit Substanz nicht dargelegt. Gerade weil einheitliche Begriffsinhalte nicht festgestellt werden können, kann die Versicherungsgesellschaft auch von vornherein nichts daraus für sich herleiten, dass der Landwirt für die in Rede stehenden Flächen einen Antrag auf Agrarförderung gestellt haben soll.

Kein anderes Ergebnis ergibt sich aus der im Antrag abgefragten Nutzung der anzugebenden Flächen.

Anzugeben war nach dem Antrag nur die vom Landwirt selbstbewirtschaftete Fläche einschließlich Stilllegungsfläche und Pachtland. Zum einen aber lag jedenfalls keine Alleinbewirtschaftung durch den Landwirt vor. Die Fläche wurde vom Landkreis X. zu touristischen Zwecken genutzt. Nur in geringem zeitlichem Umfang wurde die Fläche durch die Schafe des Landwirts als Weidefläche genutzt. Dagegen, dass der Landwirt diese Fläche anzugeben hatte, spricht auch, und diese Argumentation ist für sich genommen tragfähig, dass nach der Formulierung im Antrag ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer davon ausgehen durfte, dass Pachtland beim Pächter und nicht beim Verpächter anzugeben war. Das Heideland, das hier in Rede steht, war aber vom Landkreis X. gepachtet worden. Hätte dem Landkreis X. in gleicher Weise wie dem Landwirt ein solcher Antrag zum Ausfüllen vorgelegen, hätte der Landkreis X. als Pächter diese Fläche, von der Problematik der Einordnung als Grünland abgesehen, angeben müssen und gerade nicht der Landwirt. Eine Selbstbewirtschaftung hat damit durch den Landkreis als Pächter, nicht durch den Landwirt vorgelegen.

Nur ergänzend sei darauf hingewiesen, dass eine Unterversicherung dann nicht zu berücksichtigen ist, d. h. der Versicherer sich gegenüber dem Versicherungsnehmer auf sie nicht berufen kann, wenn sie Folge einer Verletzung einer diesbezüglichen Beratungspflicht des Versicherers ist. Verletzt ein Versicherer eine Beratungsverpflichtung gemäß § 6 VVG, ist er nach dessen Absatz 5 dem Versicherungsnehmer zum Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verpflichtet, es sei denn, er kann beweisen, dass er die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Das freilich gilt jedenfalls im Grundsatz nicht, wenn der Vertrag des Versicherungsnehmers von einem Versicherungsmakler vermittelt wurde, § 6 Abs. 6 VVG. Das wirft im Wesentlichen die Frage danach auf, von wem der Antrag stammt. Nach dem Vortrag des Landwirts ist der Antrag Teil der von der Versicherungsgesellschaft zur Verfügung gestellten Software. Dass der Antrag von der Versicherungsgesellschaft stammt, ist von dieser nicht in Abrede genommen worden. Enthält dieser wie im vorliegenden Fall Unklarheiten, kommt es auf die Einschaltung eines Maklers nicht mehr an und besteht ausreichend Anlass, Unklarheiten der Versicherungsgesellschaft selbst anzulasten.

Oberlandesgericht Celle – Urteil vom 22. November 2012 – 8 U 178/12

  1. BGHZ 123, 83, 85; weitere Rechtsprechungsnachweise bei Römer in Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., vor § 1 Rn. 16[]
  2. BGH, Urteil vom 20.07.2011 – IV ZR 148/10, zur sog. strengen Wiederherstellungsklausel[]
  3. BGH, Urteil vom 25.06.2003 – IV ZR 322/02[]
  4. BGH, Urteil vom 25.05.2011 – IV ZR 117/09[][]
  5. BGH, NJW 2000, 2021, 2022[]