Die Geschlechtsumwandlung und der Frauentarif in der privaten Krankenversicherung

Die Geschlechtsumwandlung eines ursprünglich männlichen Versicherungsnehmers berechtigt den privaten Krankenversicherer nicht, die versicherte Person abweichend vom vertraglich vereinbarten Männertarif in den Frauentarif einzustufen.

Der Bundesgerichtshof lässt dabei ausdrücklch offen, ob unterschiedliche Krankenversicherungstarife mit Geschlechterdifferenzierung und damit die Ausnahmeregelung des § 20 Abs. 2 Satz 1 AGG vor Art. 3 Abs. 2 GG Bestand haben. Auf diese im Schrifttum kontrovers beantwortete Frage1 kommt es nicht an, weil ein Recht der Krankenversicherung, die Versicherungsnehmerin in einen anderen als den bei Vertragsschluss vereinbarten Tarif einzuordnen, auch bei einer Verfassungskonformität der gesetzlichen Regelung des § 20 Abs. 2 Satz 1 AGG nicht besteht.

Die Versicherung dürfte die Versicherungsnehmerin nur dann abweichend von dem vertraglich vereinbarten Tarif einstufen, wenn ihr ein entsprechender Anspruch auf Vertragsänderung zustünde. Eine Anspruchsgrundlage hierfür ist jedoch nicht ersichtlich.

Sie findet sich insbesondere nicht in den Vorschriften des TSG.

Selbst nach Vorliegen einer rechtskräftigen Entscheidung gemäß § 10 TSG verpflichten weder dieses Gesetz noch der Versicherungsvertrag in der bestehenden Fassung die Versicherungsnehmerin zur Zahlung einer höheren Prämie als im Vertrag vereinbart.

Das Gesetz regelt die Höhe der Versicherungsprämie nicht. Es ist auch nicht vorgetragen, dass der konkret abgeschlossene Vertrag eine Vereinbarung zu unterschiedlichen Prämienhöhen je nach Geschlecht des Versicherten enthält.

Besteht auch nach Erlass eines Beschlusses gemäß § 10 TSG kein Anspruch der Krankenversicherung auf eine höhere Prämie, kann es sich insoweit nicht zum Nachteil der Versicherungsnehmerin auswirken, dass sie keinen Antrag nach § 8 TSG gestellt hat. Auf die Nachvollziehbarkeit der von ihr hierfür angegebenen Gründe kommt es nicht an. Der Rechtsgedanke des § 162 BGB ist nicht einschlägig.

Ferner liegt kein Fall einer Prämienanpassung nach § 203 Abs. 2 VVG vor. Diese Bestimmung regelt allein die Prämienanpassung innerhalb eines konkreten Tarifs. Einen Anspruch auf Tarifwechsel hat der Gesetzgeber in § 204 VVG nur als einseitiges Recht des Versicherungsnehmers geregelt.

Schließlich ergibt sich ein Anspruch der Krankenversicherung auf Vertragsänderung nicht aus einer Störung der Geschäftsgrundlage, § 313 BGB.

Hierfür kann es dahinstehen, ob die Eigenschaft der Versicherungsnehmerin als „Mann“, die mitbestimmend für die ursprüngliche Tarifeinstufung gewesen sein dürfte, damit als Geschäftsgrundlage für den Vertragsabschluss mit seinem konkret vereinbarten Inhalt anzusehen ist.

Selbst wenn man dieses annimmt, berechtigt die Geschlechtsänderung der Versicherungsnehmerin mag sie auch ungeachtet des gesetzlichen Personenstands in physischer, psychischer und sozialer Hinsicht vollzogen sein, wie das Berufungsgericht in tatsächlicher Hinsicht unangegriffen festgestellt hat die Versicherung nicht zur Vertragsanpassung, wie sich aus den spezialgesetzlichen Bestimmungen im VVG ergibt.

Die höheren Tarife für Frauen in der Krankenversicherung sind wesentlich einer statistisch höheren Lebenserwartung geschuldet, nachdem die Kosten für Schwangerschaft und Geburt gemäß § 20 Abs. 2 Satz 2 AGG nicht mehr in eine differenzierende Prämienkalkulation einfließen dürfen. Geht man davon aus, dass die Versicherungsnehmerin in physischer, psychischer und sozialer Hinsicht nunmehr der versicherungsrechtlich zulässig gebildeten Risikogruppe „Frau“ angehört, so hat sich damit das von individuellen Umständen unabhängige und abstrakt zu sehende Leistungsrisiko für die Versicherung erhöht.

Grundsätzlich sind die Folgen nachträglicher Risikoerhöhungen nach Abschluss des Versicherungsvertrages vom Gesetzgeber in den Vorschriften über die Gefahrerhöhung (§§ 23 ff. VVG) geregelt. Insoweit lässt sich § 25 VVG der Grundsatz entnehmen, dass der Versicherer ein nachträglich erhöhtes Risiko nur gegen Zahlung einer erhöhten Prämie abdecken muss.

Jedoch kann dieser Grundsatz hier nicht zum Zuge kommen, weil der Gesetzgeber ihn für die Krankenversicherung gerade ausgeschlossen hat. Die Ausnahmevorschrift des § 194 Abs. 1 Satz 2 VVG bestimmt, dass die §§ 23 bis 27 und 29 auf die Krankenversicherung nicht anzuwenden sind. Damit hat der Gesetzgeber dem Versicherer das Risiko nachträglicher Gefahrerhöhungen in der Krankenversicherung generell auferlegt. Ob es dabei um eine individuelle Risikoerhöhung beim Versicherungsnehmer oder um eine Erhöhung des abstrakt zu sehenden Leistungsrisikos aufgrund statistischer Zuordnungen geht, ist unerheblich2. Diese gesetzliche Risikoverteilung ist gemäß § 313 Abs. 1 BGB bei der Frage nach der Zumutbarkeit eines unveränderten Festhaltens am Vertrag für den Versicherer zu berücksichtigen; sie schließt einen Anspruch auf Tarifänderung aus.

Im Streitfall kommt hinzu, dass die Gefahrerhöhung auf einem Versicherungsfall beruht. Die jetzt eingetretene Zugehörigkeit der Versicherungsnehmerin zu einer unter Tarifierungsgesichtspunkten gebildeten anderen Risikogruppe ist eine Folge der bei ihr aufgetretenen Transsexualität, die als Krankheit von Anfang an versichert war. Eine darin liegende Gefahrerhöhung wäre deshalb selbst bei einer Anwendbarkeit der §§ 23 ff. VVG als ein nach den Umständen mitversichertes Risiko anzusehen, § 27 VVG.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 9. Mai 2012 – IV ZR 1/11

  1. vgl. nur Wrase/Baer, NJW 2004, 1623 ff. einerseits und Wandt, VersR 2004, 1341 ff. andererseits[]
  2. vgl. Prölss in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. § 23 Rn. 14 und § 25 Rn. 6[]