Die vom Versicherungsnehmer erklärte Kündigung eines Krankenversicherungsvertrages, der eine Pflicht aus § 193 Abs. 3 Satz 1 VVG erfüllt, wird erst im Zeitpunkt des Zugangs des Nachweises der Anschlussversicherung beim bisherigen Versicherer wirksam. Eine Rückwirkung auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung beim bisherigen Versicherer kommt nicht in Betracht.
Widerruf des Krankenversicherungsvertrages
Gemäß § 8 Abs. 1 VVG kann der Versicherungsnehmer seine Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen in Textform gegenüber dem Versicherer widerrufen. Nach überwiegender Auffassung erfasst das Widerrufsrecht nicht nur den erstmaligen Abschluss eines Vertrages, sondern auch später vorgenommene einvernehmliche Änderungen unabhängig von ihrem Umfang und ihrer Bedeutung1. Hiernach löst auch eine Vertragsänderung durch Verlegung des Beginns der Versicherung ein Widerrufsrecht nach § 8 VVG aus. Vereinzelt wird hiervon abweichend die Auffassung vertreten, nur Änderungen von einigem Gewicht könnten ein erneutes Widerrufsrecht begründen2. Dies seien typischerweise nur solche Vertragserklärungen, die auch Gegenstand eines eigenständigen Versicherungsvertrages sein könnten.
Dieser Meinungsstreit muss hier allerdings schon deshalb nicht entschieden werden, weil sich auch nach der überwiegenden Auffassung der Widerruf nur auf die geänderten Bestimmungen des Vertrages bezieht, während der Vertrag im Übrigen, soweit bei diesem das Widerrufsrecht abgelaufen ist, bestehen bleibt3. Ein Widerruf des Änderungsvertrages mit dem Hinausschieben des Beginns des Versicherungsverhältnisses auf den 1.12.2009 bewirkt hiernach lediglich, dass es bei dem ursprünglich geschlossenen Vertrag mit dem Beginn zum 1.02.2009 verbleibt. Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht richtig erkannt und angewendet.
§ 9 VVG regelt in diesem Zusammenhang lediglich die Rechtsfolgen nach einem wirksam erklärten Widerruf, besagt aber nichts darüber, ob überhaupt ein wirksamer Widerruf vorliegt und welche Rechtsfolgen der Widerruf einer bloßen Vertragsänderung hat. Dies richtet sich allein nach § 8 VVG.
Kündigung des Krankenversicherungsvertrages
Gemäß § 205 Abs. 1 Satz 1 VVG kann der Versicherungsnehmer vorbehaltlich einer vereinbarten Mindestversicherungsdauer bei der Krankheitskostenversicherung ein Krankenversicherungsverhältnis, das für die Dauer von mehr als einem Jahr eingegangen ist, zum Ende des ersten Jahres oder jedes darauf folgenden Jahres unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten kündigen.
Im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall hat der BGH das Schreiben des Beklagten vom 10.06.2009 als Kündigung angesehen. In diesem hat der Beklagte seine Vertragserklärung nicht nur widerrufen, sondern auch um eine „schriftliche Bestätigung der Kündigung innerhalb von 10 Tagen” gebeten. Dies lässt den Schluss zu, dass der Beklagte sich in jedem Fall vom Vertrag lösen wollte, möglichst von Anfang an durch Widerruf, jedenfalls aber durch Kündigung.
Mindestversicherungsdauer
Es ist sodann zu klären, ob die Parteien gemäß § 205 Abs. 1 Satz 1 VVG wirksam eine bestimmte Mindestversicherungsdauer vereinbart haben, innerhalb derer keine ordentliche Kündigung möglich ist. Das ist nach § 11 Abs. 2 Satz 2 VVG nur bis zur Dauer von zwei Jahren möglich. Den bisher vorgelegenen Versicherungsunterlagen lässt sich hierfür nichts entnehmen. Dagegen könnte sprechen, dass nach § 195 Abs. 1 Satz 1 VVG eine Krankenversicherung, die ganz oder teilweise den im gesetzlichen Sozialversicherungssystem vorgesehenen Kranken- oder Pflegeversicherungsschutz ersetzen kann (substitutive Krankenversicherung), grundsätzlich unbefristet ist. § 205 Abs. 1 Satz 1 VVG findet auf Versicherungsverträge, die von vornherein auf unbefristete Zeit geschlossen sind, ebenfalls Anwendung4.
Abschluss einer neuen Krankenversicherung bei Versicherungspflicht
Gemäß § 205 Abs. 6 VVG kann der Versicherungsnehmer ferner abweichend von den Absätzen 1 bis 5 eine Versicherung, die eine Pflicht aus § 193 Abs. 3 Satz 1 erfüllt, nur dann kündigen, wenn er bei einem anderen Versicherer für die versicherte Person einen neuen Vertrag abschließt, der dieser Pflicht genügt. Ob es sich bei dem Krankheitskostenversicherungsvertrag des Beklagten bei der Klägerin um eine Pflichtkrankenversicherung i.S. von § 193 Abs. 3 Satz 1 VVG handelt, lässt sich den bisher vorgelegten Unterlagen nicht entnehmen. Dies wird das Berufungsgericht ebenfalls zu prüfen haben.
Wirksamwerden der Kündigung des Krankenversicherungsvertrages
Sollte der Anwendungsbereich des § 205 Abs. 6 VVG eröffnet sein, so wird die Kündigung erst wirksam, wenn der Versicherungsnehmer nachweist, dass die versicherte Person bei einem neuen Versicherer ohne Unterbrechung versichert ist. Ziel dieser Regelung ist es, einen ununterbrochenen Versicherungsschutz sicherzustellen. In dem Kündigungsschreiben des Beklagten vom 10.06.2009 wird auf einen anderweitig bestehenden Versicherungsschutz nicht hingewiesen. Der Beklagte hat allerdings ein Schreiben seines bisherigen Krankenversicherers an ihn vom 18.06.2009 vorgelegt, wonach er seine zunächst erklärte Kündigung bei diesem zurückgenommen hat und das Versicherungsverhältnis auch über den 31.12.2009 hinaus fortbesteht. Streitig ist allerdings, wann die Klägerin hiervon Mitteilung erhielt. Sie hat sich in ihrem Schreiben vom 26.03.2010 darauf berufen, der Beklagte habe eine Nachversicherung nicht nachgewiesen. Der Beklagte behauptet demgegenüber unter Beweisantritt, die Bestätigung seines Versicherers vom 18.06.2009 sei unmittelbar nach Erhalt durch den Zeugen S. an die Klägerin weitergeleitet worden. Diese Frage wird das Berufungsgericht zu klären haben.
Die Kündigung einer Krankenversicherung, die eine Pflicht aus § 193 Abs. 3 Satz 1 VVG erfüllt, zeitigt nämlich erst zum Zeitpunkt der Vorlage des Nachweises der Anschlussversicherung bei dem Vorversicherer Wirkung5. Sollte die Klägerin demnach die Bestätigung, dass der Beklagte weiter krankenversichert ist, noch während des Laufes der Kündigungsfrist erhalten haben, so hätte der Beklagte den Vertrag wirksam zum 31.01.2010 gekündigt.
Nach anderer Ansicht ist dagegen die ohne gleichzeitigen Nachweis ausgesprochene Kündigung zunächst schwebend unwirksam und wird mit Vorlage des Nachweises über eine Anschlussversicherung rückwirkend auf den Erklärungszeitpunkt wirksam6. Hiernach wäre unabhängig davon, wann der Beklagte der Klägerin den Nachweis seines Versicherers vom 18.06.2009 vorgelegt hat, die Kündigung vom 10.06.2009 in jedem Fall zum 31.01.2010 wirksam.
Diese Auffassung trifft indessen nicht zu. Vielmehr ist auf den Zeitpunkt der Vorlage des Nachweises der Anschlussversicherung bei dem Vorversicherer abzustellen. Hierfür spricht nicht nur der Wortlaut des § 205 Abs. 6 Satz 2 VVG, wonach die Kündigung „erst wirksam” wird, wenn der anderweitige Versicherungsnachweis vorgelegt wird. Gegen eine Rückwirkung spricht ferner, dass der Versicherer ein berechtigtes Interesse daran hat, möglichst zeitnah Klarheit über die Wirksamkeit einer Kündigung zu erlangen. Wird ihm erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung nach der Kündigungserklärung und möglicherweise dem Ablauf der Kündigungsfrist der Nachweis über die Anschlussversicherung vorgelegt, so wäre er für diese Schwebezeit dem Risiko ausgesetzt, zwischenzeitlich dem Versicherungsnehmer erbrachte Leistungen infolge von Zahlungsschwierigkeiten nicht oder nur erschwert zurückfordern zu können. Demgegenüber ist die rechtzeitige Vorlage eines Anschlussversicherungsnachweises ein Umstand, für den der Versicherungsnehmer zu sorgen hat. Die Gefahr des Bestehens einer zeitweisen Doppelversicherung fällt in seine Sphäre.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 12. September 2012 – IV ZR 258/11
- vgl. Prölss in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. § 8 Rn. 2; Knops in Bruck/Möller, VVG 9. Aufl. § 8 Rn. 12; Rixecker in Römer/Langheid, VVG 3. Aufl. § 8 Rn. 2; HK-VVG/Schimikowski, VVG 2. Aufl. § 8 Rn. 5; Looschelders/Heinig in Looschelders/Pohlmann, VVG 2. Aufl. § 8 Rn. 27; Ebers in Schwintowski/Brömmelmeyer, VVG 2. Aufl. § 8 Rn. 13; Leverenz, Vertragsschluss nach der VVGReform 2008 Ziff. 3/19, 4/120; Schneider, VersR 2004, 696, 699 f.[↩]
- Armbrüster, r+s 2008, 493, 494[↩]
- Bruck/Möller, Looschelders/Pohlmann, HK-VVG, Römer/Langheid, Schwintowski/Brömmelmeyer, Prölss/Martin, je aaO[↩]
- HK-VVG/Rogler, 2. Aufl. § 205 Rn. 2; MünchKomm-VVG/Hütt, § 205 Rn. 10; Voit in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. § 205 Rn. 3; Langheid in Römer/Langheid, § 205 Rn. 5; anders nur Reinhard in Looschelders/Pohlmann, VVG 2. Aufl. § 205 Rn. 3, der bei auf unbefristete Frist abgeschlossenen Verträgen § 11 VVG für anwendbar hält[↩]
- OLG Karlsruhe VersR 2012, 310, 311 f.; LG Karlsruhe VersR 2012, 53 f.; AG Aachen VersR 2011, 1131, 1132; MünchKomm-VVG/Hütt, § 205 Rn. 60; Voit in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. § 205 Rn. 43; HK-VVG/Rogler, 2. Aufl. § 205 Rn. 34[↩]
- AG Baden-Baden VersR 2010, 1027; Erdmann, VersR 2010, 1027, 1028 f.; Reinhard in Looschelders/Pohlmann, VVG 2. Aufl. § 205 Rn. 22[↩]