Widerspruch, Rückabwicklung – und die Kapitalertragsteuer

Bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung eines Lebensversicherungsvertrages nach Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F. hat sich der Versicherungsnehmer die vom Versicherer bei Auszahlung des Rückkaufswerts einbehaltene und an das Finanzamt abgeführte Kapitalertragssteuer nebst Solidaritätszuschlag als Vermögensvorteil anrechnen zu lassen.

Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarechtswidrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur eine Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot1.

Damit kann der Versicherungsnehmer von der Versicherungsgesellschaft die Prämienrückzahlung gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB verlangen. Allerdings umfasst der Rückgewähranspruch der Höhe nach nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien, dem Versicherungsnehmer ist bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung der jedenfalls bis zur Kündigung des jeweiligen Vertrages genossene Versicherungsschutz anzurechnen. Der Wert des Versicherungsschutzes kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden; bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zukommen2.

Ein anzurechnender Vermögensvorteil besteht auch darin, dass die Versicherungsgesellschaft bei der Auszahlung des Rückkaufswerts Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag einbehielt und an die Steuerbehörden abführte.

Ob und gegebenenfalls wie ein entsprechender Steuerabzug bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung eines Lebensversicherungsvertrages zu behandeln ist, wird in Literatur und Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet.

Eine Ansicht lehnt eine Berücksichtigung gänzlich ab3. Die Gegenmeinung erkennt die abgeführten Steuerbeträge als Abzugspositionen an, wobei ein Teil ihrer Vertreter insoweit von einem Wegfall der Bereicherung des Versicherers gemäß § 818 Abs. 3 BGB ausgeht4 und die anderen einen anrechnungsfähigen Vermögensvorteil des Versicherungsnehmers annehmen5.

Der letztgenannten Auffassung gebührt der Vorzug. Die von der Versicherungsgesellschaft erbrachte Steuerzahlung ist dem Versicherungsnehmer als Vermögensvorteil anzurechnen.

Der Einbehalt und die anschließende Abführung der fraglichen Teilbeträge des Rückkaufswerts durch die Versicherungsgesellschaft an die Finanzbehörden führte zu einem Vermögensvorteil für den Versicherungsnehmer, der auf diese Weise von einer Steuer- und Abgabenschuld frei wurde. Durch die Auszahlung des Rückkaufswerts im Jahr 2010 entstand eine Kapitalertragsteuerschuld des Versicherungsnehmers gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 Halbsatz 1, § 52 Abs. 36 Satz 5 EStG in der zu diesem Zeitpunkt gültigen Fassung i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 1 und 5 EStG in der am 31.12 2004 geltenden Fassung (im Folgenden: EStG 2004). Bemessungsgrundlage der Steuer waren die von der Versicherungsgesellschaft mit dem Rückkaufswert ausgezahlten außerrechnungsmäßigen und rechnungsmäßigen Zinsen aus den Sparanteilen, die in den Versicherungsbeiträgen des Versicherungsnehmers enthalten waren (§ 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 1 EStG 2004).

Die Steuerschuld wurde von der Versicherungsgesellschaft erfüllt. Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 3 EStG hatte die Versicherungsgesellschaft als Schuldnerin der Kapitalerträge den Steuerabzug für Rechnung des Versicherungsnehmers vorzunehmen. Durch Abführung des vom Rückkaufswert einbehaltenen Teilbetrages an die Steuerbehörden kam sie ihrer Entrichtungspflicht nach und beglich damit zugleich die Steuerschuld des Versicherungsnehmers.

Die vorstehenden Ausführungen gelten für die Entstehung und Erfüllung des vom Versicherungsnehmer gleichfalls geschuldeten Solidaritätszuschlags gemäß § 1 Abs. 2 SolzG 1995 in entsprechender Weise.

Den auf diese Weise seitens der Versicherungsgesellschaft gewährten Vermögensvorteil hat sich der Versicherungsnehmer im Rahmen der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung ebenso wie den unmittelbar an ihn ausgezahlten Rückkaufswert auf seinen Rückgewähranspruch anrechnen zu lassen. Das Argument, abzugsfähig seien nur Steuervorteile, auf deren Erzielung das rückabzuwickelnde Geschäfte gerade abgezielt habe6, verfängt nicht, da es hier nicht um die Berücksichtigung von Steuervorteilen, sondern um die Erfüllung bestehender Steuerschulden geht.

Hinsichtlich der von ihr geltend gemachten Abschluss- und Verwaltungskosten kann sich die Versicherungsgesellschaft – wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat – nicht gemäß § 818 Abs. 3 BGB auf den Wegfall der Bereicherung berufen.

Vermögensnachteile des Bereicherungsschuldners sind nur berücksichtigungsfähig, wenn sie bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise adäquatkausal auf der Bereicherung beruhen7. Nach dieser Maßgabe sind die Verwaltungskosten bereits deshalb nicht bereicherungsmindernd zu berücksichtigen, weil sie nicht adäquatkausal durch die Prämienzahlungen der Versicherungsnehmer entstanden, sondern unabhängig von den streitgegenständlichen Versicherungsverträgen angefallen und beglichen worden sind. Auch die Verwendung der Verwaltungskostenanteile der gezahlten Prämien für die Bestreitung von Aufwendungen für den Versicherungsbetrieb wirkt nicht bereicherungsreduzierend, da die Versicherungsgesellschaft auf diese Weise den Einsatz sonstiger Finanzmittel erspart hat8.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 29. Juli 2015 – IV ZR 448/14

  1. dazu im Einzelnen BGH, Urteil vom 07.05.2014 aaO Rn. 4144[]
  2. BGH, Urteil vom 07.05.2014 aaO Rn. 45 m.w.N.[]
  3. OLG Schleswig, Urteil vom 26.02.2015 – 16 U 61/13 62 f.[]
  4. LG Meiningen, Urteil vom 10.12 2014 – (17) 3 S 52/14, S.16; LG Heidelberg, Urteil vom 25.09.2014 – 1 S 15/13 39; Rudy, r+s 2015, 115, 120[]
  5. OLG Stuttgart r+s 2015, 123, 126; Reiff, r+s 2015, 105, 109 f.; wohl auch Sommermeyer/Fink, EWiR 2015, 149, 150[]
  6. OLG Schleswig aaO Rn. 63[]
  7. BGH, Urteile vom 05.03.2015 – IX ZR 164/14, NJW-RR 2015, 677 Rn. 14; vom 23.10.1980 IVa ZR 45/80, NJW 1981, 277 unter 5 c; jeweils m.w.N.[]
  8. so im Ergebnis auch OLG Karlsruhe, Urteil vom 09.06.2015 – 12 U 106/13 (14) 43; OLG Schleswig, Urteil vom 26.02.2015 – 16 U 61/13 57 f.; OLG Dresden, Urteil vom 24.02.2015 4 U 786/14 47; KG r+s 2015, 179, 181; OLG Stuttgart, Urteile vom 28.05.2015 – 7 U 27/15, S. 7 f.; vom 23.02.2015 – 7 U 44/14, S. 9; r+s 2015, 123, 125; VersR 2015, 561, 564; OLG Köln r+s 2015, 121 Rn. 23; VersR 2015, 177, 178; LG Meiningen, Urteil vom 10.12 2014 – (17) 3 S 52/14, S. 14. f.; LG Heidelberg, Urteile vom 25.09.2014 – 1 S 8/14 38 und 1 S 15/13 37; a.A. Rudy, r+s 2015, 115, 120[]