Berufsunfähigkeitsversicherung bei Auszubildenden

Wird ein Auszubildender gegen Berufsunfähigkeit versichert, ist der Berufsbegriff auf solche Tätigkeiten auszuweiten, die erst die Voraussetzungen für die Aufnahme einer bestimmten, auf Erwerb gerichteten Tätigkeit schaffen sollen.

Für die Nachprüfung der Berufsunfähigkeit ist nach einem aktuellen Urteil des Bundesgerichtshofs nicht zwischen der Ausbildungs- und der Ausübungsphase zu unterscheiden. Ist der Versicherte nach abgeschlossener Ausbildung den Anforderungen seines Berufes nicht gewachsen, kann der Versicherer deshalb nicht geltend machen, er übe jetzt einen – verglichen mit der Tätigkeit als Auszubildender – anderen Beruf aus, dem er zu keiner Zeit „in gesunden Tagen“ nachgegangen sei.

Nachträglichen Änderungen im Gesundheitszustand, die eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit entfallen lassen, kann der Versicherer nur im Wege eines Nachprüfungsverfahrens nach § 9 Abs. 1 B-BUZ Rechnung tragen. Allein auf diese Weise kann er erreichen, dass seine bereits anerkannte Leistungspflicht wieder endet. Dabei ist es Sache des Versicherers, im Nachprüfungsverfahren zu beweisen, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 B-BUZ nicht mehr gegeben sind. Maßgeblich dafür ist der Vergleich des Gesundheitszustandes, wie er dem Anerkenntnis zugrunde gelegen hat, mit dem Gesundheitszu-stand der versicherten Person zu einem späteren Zeitpunkt. Der Versicherer kann von seinem Leistungsanerkenntnis erst dann wieder abrücken, wenn er belegen kann, dass sich der Gesundheitszustand des Versicherten derart gebessert hat, dass dies zu bedingungsgemäß relevanten Auswirkungen auf seine beruflichen Betätigungsmöglichkeiten führt1.

Für die Prüfung, ob eine Berufsunfähigkeit der versicherten Person nicht mehr gegeben ist, kommt es nach § 9 Abs. 1 i.V. mit § 1 Abs. 1 B-BUZ darauf an, welchen Beruf diese „in gesunden Tagen“ zuletzt ausgeübt hat. Das ist hier der Beruf der Klägerin als Kreissekretärin. Dabei kommt es nicht darauf an, dass die Klägerin sich bei Abschluss des Versicherungsvertrages und später bei Eintritt des zum 1. November 2001 anerkannten Versicherungsfalles noch im Anwärterdienst befunden hat.

Schließt ein Versicherer mit einer noch in der Berufsausbildung stehenden Person eine Berufsunfähigkeitsversicherung ab, muss dem Sinn und Zweck der – typischerweise an anderen Sachverhaltsgestaltungen ausgerichteten – Versicherung ausreichend Rechnung getragen werden. Das verbietet es insbesondere, die Berufsunfähigkeitsversicherung bei einem Auszubildenden als bloße Erwerbsunfähigkeitsversicherung anzusehen und zu behandeln; damit wäre das vom Versicherer – hier in § 1 Abs. 1 B-BUZ – gegebene Leistungsversprechen sinnwidrig ausgehöhlt2.

Deshalb ist der Berufsbegriff, sofern der Versicherer einen Auszubildenden versichert, auf solche Tätigkeiten auszuweiten, die erst die Voraussetzungen für die Aufnahme einer bestimmten, auf Erwerb gerichteten Tätigkeit schaffen sollen3.

Mit Abschluss der Berufsunfähigkeitsversicherung wird keine bestimmte Tätigkeit festgeschrieben. Versichert ist grundsätzlich der Beruf, der von der versicherten Person vor Eintritt des Versicherungsfalles zuletzt ausgeübt worden ist4. Andernfalls hätte dies zur Folge, dass die Klägerin als Auszubildende nicht (mehr) berufsunfähig wäre, in ihrem späteren Beruf, für den sie ausgebildet worden ist, aber ebenfalls nicht als berufsunfähig anzusehen wäre, weil er ihr zwar gesundheitsbedingt verschlossen ist, sie ihn aber zu keinem Zeitpunkt „in gesunden Tagen“ ausgeübt hat.

Nach einer in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Ansicht5 sind Hoffnungen und Erwartungen auf einen künftigen Beruf, der – gesundheitsbedingt – nicht ausgeübt werden kann, allerdings nicht zu berücksichtigen, auch wenn sie sich während der Ausbildung schon konkretisiert haben sollten. Zur Begründung wird ausgeführt, die Berufsunfähigkeitsversicherung sei nicht als „Karriereversicherung“ zu verstehen, die das Risiko des Versicherten abdecke, dass er aus gesundheitlichen Gründen eine künftige berufliche Besserstellung nicht erreichen könne. Versichert sei allein der Status des Versicherten; eine zukünftige berufliche Tätigkeit könne nicht einmal dann als bereits ausgeübter Beruf verstanden werden, wenn schon ein Arbeits- oder Anstellungsvertrag vorliege.

Nach anderer Ansicht vermag es nicht zu überzeugen, wenn der Versicherte zwar seine lernende Tätigkeit noch oder wieder ausüben könne, es aber absehbar sei, dass er später in dem von ihm angestrebten Beruf nicht werde arbeiten können. Vielmehr sei auf den Einzelfall abzustellen. Je weiter die Ausbildung fortgeschritten sei, desto eher müsse der in Aussicht genommene Beruf entscheidend sein. In Zweifelsfällen müsse das Ausbildungsziel der Maßstab sein und insoweit Berufsunfähigkeit vorliegen. Denn mit Abschluss des Versicherungsvertrages mit einem Auszubildenden habe der Versicherer diesem aus der Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers zugleich konkludent versprochen, ihn vor dem Wegfall des angestrebten Berufsziels zu schützen6.

Der Bundesgerichtshof hält die zuletzt genannte Auffassung für zutreffend, ohne dass es aus seiner Sicht jedoch auf eine einzelfallbezogene, auf den bereits erreichten Ausbildungsstand abhebende Beurteilung ankommt. Wenn die Klägerin bei Eintritt der Berufsunfähigkeit Anwärterin war und sich nunmehr darauf beruft, den an eine ausgebildete Kreissekretärin zu stellenden Anforderungen gesundheitsbedingt nicht gewachsen zu sein, kann der beklagte Versicherer sie nach Ansicht des Bundesgerichtshofs nicht darauf verweisen, sie übe jetzt einen – verglichen mit der Tätigkeit als Auszubildende – anderen Beruf aus. Vielmehr hat sich die Klägerin von Anfang an innerhalb desselben Berufs – als Kreissekretärin – bewegt und in diesem lediglich unterschiedliche Stadien durchlaufen. Ebenso wie es einem Versicherer zugute kommt, wenn bei der versicherten Person eine Verbesserung in der Leistungsfähigkeit eintritt oder diese neue berufliche Fähigkeiten erwirbt, aufgrund derer sie nicht mehr berufsunfähig ist, muss er es hinnehmen, wenn die versicherte Person den Anforderungen desselben Berufs nicht mehr gewachsen ist, weil diese sich zwischenzeitlich geändert haben.

Für einen Versicherer, der einen Auszubildenden versichert, zeichnet sich der künftige Übergang von einem Ausbildungs- in ein Arbeitsverhältnis bereits ab. Für ihn tritt schon bei Abschluss des Versicherungsvertrages deutlich zutage, dass die versicherte Person nicht in der Situation eines Auszubildenden verharren wird, denn Ziel einer jeden Ausbildung ist regelmäßig, diese erfolgreich abzuschließen und den angestrebten Beruf später dauerhaft auszuüben. Eine versicherte Person, die sich im Ausbildungsverhältnis befindet, übt – wie hier die Klägerin „in gesunden Tagen“ – ihren Beruf bereits aus. Der Übergang von der Vorbereitungs- in die Ausübungsphase ist bereits bei Abschluss des Versicherungsvertrages für den Versicherer erkennbar angelegt. Dieser kann die versicherte Person somit nicht auf die Phase der Ausbildung festschreiben; sonst würde sein Leistungsversprechen auch in dieser Hinsicht entwertet und für den Versicherten unzumutbar ausgehöhlt. Der Versicherer würde zudem einseitig aus dem Status der versicherten Person Vorteile ziehen. An einen Auszubildenden werden regelmäßig geringere Anforderungen im beruflichen Alltag gestellt; er wird sich daher seltener auf eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit nach § 1 Abs. 1 B-BUZ berufen können, weil er seinem Beruf nach den für eine Ausbildung geltenden Maßstäben gesundheitsbedingt eher gewachsen ist als ein fertig ausgebildeter Arbeitnehmer. Umgekehrt wäre es ihm aber verwehrt, gegenüber dem Versicherer geltend zu machen, er sei nicht oder nicht mehr in der Lage, seinem Beruf unter den erhöhten Anforderungen nachzukommen, denen er nach dem Abschluss seiner Ausbildung zu genügen hat.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 24. Februar 2010 – IV ZR 119/09

  1. BGH, Urteil in BGHZ 121, 284, 292 f.; BGH, Urteile vom 27.05.1987 – IVa ZR 56/86, VersR 1987, 808; und vom 15.10.1997 – IV ZR 216/96, r+s 1998, 37[]
  2. BGH, Urteil vom 27.09.1995 – IV ZR 319/94, VersR 1995, 1431[]
  3. OLG Zweibrücken, VersR 1998, 1364; OLG München, VersR 2005, 966; OLG Dresden, VersR 2008, 1251; Bruck/Möller/Winter, VVG 8. Aufl. Bd. V/2 Anm. G 19; Höra in Münchener Anwaltshandbuch Versicherungsrecht 2. Aufl. § 26 Rdn. 83; Voit/Knappmann in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 2 BUZ Rdn. 11; Rixecker in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch 2. Aufl. § 46 Rdn. 32[]
  4. BGH, Urteile vom 17.09.1986, a.a.O.; vom 16.03.1994 – IV ZR 110/92, VersR 1994, 587; und vom 03.04.1996 – IV ZR 344/94, VersR 1996, 830; Benkel/Hirschberg, Berufsunfähigkeits- und Lebensversicherung BUZ § 2 Rdn. 9; Voit/Knappmann aaO § 2 BUZ Rdn. 9[]
  5. OLG Zweibrücken a.a.O.; OLG München a.a.O.; Rixecker a.a.O.[]
  6. so insbesondere Voit/Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung 2. Aufl. F Rdn. 36; vgl. auch OLG Koblenz r+s 1993, 356 sowie r+s 1994, 195; OLG Dresden VersR 2008, 1251[]