Bei Vereinbarung einer progressiven Invaliditätsstaffel, die § 7 I (2) und (3) AUB 88 entsprechende Bedingungen in Bezug nimmt, ist Grundlage für die Progression der um die Vorinvalidität geminderte Invaliditätsgrad.
Versicherungsbedingungen sind aus sich heraus zu interpretieren ohne vergleichende Betrachtungen mit anderen Versicherungsbedingungen, die dem Versicherungsnehmer regelmäßig nicht bekannt sind und auch nicht bekannt sein müssen, so dass ihm eine bedingungsübergreifende Würdigung deshalb von vornherein verschlossen bleibt1. Die Entstehungsgeschichte der Bedingungen – und erst recht ihre spätere Entwicklung in nachfolgenden Fassungen – hat daher außer Betracht zu bleiben. Es geht allein darum, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer die Klausel in § 7 I (3) AUB 88 in Verbindung mit der Zusatzklausel, wie sie in den Besonderen Bedingungen enthalten ist, bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss2. Dabei sind die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit – auch – seine Interessen entscheidend.
Ein solcher Versicherungsnehmer entnimmt zunächst § 7 I (1) AUB 88, dass die Beklagte als Versicherer ihm eine Invaliditätsleistung verspricht für den Fall, dass ein Unfall zu einer dauernden Beeinträchtigung seiner körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit (Invalidität) führt. Unter den in der Klausel weiter genannten Voraussetzungen entsteht ein Anspruch auf Kapitalleistung aus der für den Invaliditätsfall vereinbarten Versicherungssumme. Wie sich die Höhe der Leistung im Einzelnen bemisst, erfährt der Versicherungsnehmer aus § 7 I (2) AUB 88; danach richtet sich diese nach dem Grad der Invalidität. Unter Buchst. a werden feste Invaliditätsgrade genannt, wenn es – wie hier – zum Verlust oder zur Funktionsunfähigkeit von Körperteilen oder Sinnesorganen kommt. Das ist für den (völligen) Verlust oder die (völlige) Funktionsunfähigkeit eines Beines über der Mitte des Oberschenkels ein Invaliditätsgrad von 70%, wobei nach Buchst. b bei einem Teilverlust oder einer bloßen Funktionsbeeinträchtigung des betreffenden Körperteils nur ein entsprechender Teil des der Gliedertaxe zu entnehmenden Prozentsatzes in Ansatz gebracht wird
Der Versicherungsnehmer erkennt bei weiterer Durchsicht der Versicherungsbedingungen, dass für die Versicherungsleistung wegen unfallbedingter Invalidität solche Ursachen außer Betracht zu bleiben haben, die sich für das aktuell zu entschädigende Unfallereignis als unfallfremd darstellen. Dieses kommt für ihn in § 7 I (3) AUB 88 zum Ausdruck. Er erkennt daraus, dass Krankheiten und Gebrechen, wenn und soweit sie als Folge eines früheren Unfalls – oder aus anderem Grunde – schon vorher vorhanden waren, nicht dem neuen Unfall zuzurechnen sind. Das bedeutet hier: Beide Unfallereignisse sind getrennt zu betrachten; ferner ist die beim Kläger aufgrund des ersten Unfallereignisses vorhandene Vorschädigung bei der nach dem zweiten Unfallereignis bestehenden Invalidität und der daraus folgenden Versicherungsleistung mindernd zu berücksichtigen. Ein verständiger Versicherungsnehmer darf und wird nicht erwarten, dass der Versicherer ihm Versicherungsschutz auch insoweit bietet, als eine nach dem späteren Unfallereignis festgestellte Gesamtinvalidität eine Teilinvalidität einschließt, die sich auf ein früheres (Unfall-)Ereignis zurückführen lässt3. Eine daraus bedingte (Vor-)Invalidität geht zu seinen Lasten.
Dem Versicherungsnehmer wird aus § 7 I (3) AUB 88 weiter deutlich, dass eine solche – hier auf einem früheren Unfallereignis beruhende – Vorinvalidität zu einem Abzug von der zuvor ermittelten Gesamtinvalidität führt. Der Versicherer verweist in § 7 I (3) AUB 88 darauf, dass sich die Höhe dieses Abzuges nach § 7 I (2) AUB 88 richtet, mithin auch hier der Invaliditätsgrad Maß gibt, der – soweit ein entsprechender Teil auf die Vorschädigung entfällt – zu einer Verminderung des vom Versicherer für den späteren Unfall zu entschädigenden Invaliditätsgrades führt.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 15. Dezember 2010 – IV ZR 24/10