Sind in einem Vertrag über eine kapitalbildende Lebensversicherung die Allgemeinen Bedingungen über die Berechnung des Rückkaufswerts und die Verrechnung der Abschlusskosten unwirksam, steht dem Versicherungsnehmer als Rückkaufswert oder als beitragsfreie Versicherungssumme jedenfalls die Hälfte des ungezillmerten Deckungskapitals als Mindestleistung zu1. Diese Mindestleistung ist ohne Berücksichtigung von Abschlusskosten zu berechnen. Der Versicherer ist insoweit auch nicht zu einer ratierlichen Verrechnung von Abschlusskosten berechtigt.
Der Bundesgerichtshof hat in seinen Urteilen vom 12.10.20052 ausgeführt, den §§ 159 ff. VVG a.F. mit ihrem Schweigen zur Frage der Verrechnung der Abschlusskosten könne nicht entnommen werden, dass der Versicherer diese Kosten allein zu tragen habe3. Der vollständige Wegfall der Verrechnung der Abschlusskosten mit den Prämien würde den Versicherungsnehmer von diesen auch im Ergebnis nicht entlasten, weil dies lediglich die Überschüsse vermindern und damit im Wesentlichen die Versicherungsnehmer treffen würde, die den Vertrag bis zum Ende oder jedenfalls für längere Zeit beitragspflichtig aufrecht erhalten. Begünstigt würden dadurch nur die Versicherungsnehmer, die den Vertrag nach kurzer Laufzeit kündigen oder beitragsfrei stellten. Die entstandene Vertragslücke sei in der Weise zu schließen, dass zunächst jedenfalls die versprochene Leistung geschuldet werde. Der vereinbarte Betrag der beitragsfreien Versicherungssumme und des Rückkaufswerts dürfe aber eine Mindestleistung nicht unterschreiten4. Zur Höhe dieser Mindestleistung hat sich der Bundesgerichtshof an dem Vorschlag der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts orientiert5. Hiernach soll der Rückkaufswert das nach den anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik mit den Rechnungsgrundlagen der Prämienkalkulation zum Schluss der laufenden Versicherungsperiode berechnete Deckungskapital der Versicherung sein, bei einer Kündigung mindestens jedoch die Hälfte des ungezillmerten Deckungskapitals5.
Im vorliegenden Fall ist strittig, ob unter ungezillmertem Deckungskapital lediglich zu verstehen ist, dass keine Abschlusskostenverrechnung im Wege der Zillmerung stattfindet, die Versicherung aber berechtigt ist, die Abschlusskosten ratierlich auf die gesamte Vertragslaufzeit zu verteilen. Oder aber, wie in der Vorinstanz das Oberlandesgericht Köln entschieden hat6, ob „ungezillmert“ in diesem Zusammenhang bedeutet, dass das Deckungskapital ohne jede Berücksichtigung von Abschlusskosten zu ermitteln ist.
Die letztgenannte Ansicht trifft zu. Zunächst hat der Bundesgerichtshof in den Urteilen vom 12.10.2005 die Interessen der einzelnen Vertragsbeteiligten, nämlich der Versicherungsnehmer, die den Vertrag zu Ende führen, derjenigen, die ihn vorzeitig beendigen, sowie des Versicherungsunternehmens gegenübergestellt7. Während er hinsichtlich der Versicherungsnehmer, die den Vertrag zu Ende führen, sowie der Versicherer davon ausgeht, deren Interesse sei auf eine Verrechnung nach dem Zillmerverfahren ausgerichtet, werden die Interessen der den Vertrag vorzeitig beendenden Versicherungsnehmer dahin definiert, dass eine Verrechnung der Abschlusskosten auf die gesamte Laufzeit stattfindet7. Dies könnte zunächst auf eine ratierliche Verrechnungsweise hinweisen. Gegen eine ratierliche Verrechnung spricht indessen, dass der Bundesgerichtshof bei der eigentlichen Bestimmung des Inhalts der Hälfte des ungezillmerten Deckungskapitals ausführt, er habe auch andere Möglichkeiten für die Festlegung eines Mindestrückkaufswerts erwogen, etwa die Verteilung der Abschlusskosten auf einen längeren Zeitraum wie bei der „RiesterRente“8. Dass gleichwohl eine ratierliche Verrechnung für den dem Versicherungsnehmer verbliebenen Teil vorgesehen ist, lässt sich dem nicht entnehmen. Dieses Verständnis wird bestätigt durch den vom Bundesgerichtshof in Bezug genommenen Bericht der Reformkommission. Dort heißt es9:
„Um die gegensätzlichen Interessen des Versicherers und des Versicherungsnehmers auszugleichen, wird vorgesehen, dass als Rückkaufswert zwar auch in den Frühstornofällen das mit den Rechnungsgrundlagen der Prämienkalkulation berechnete Deckungskapital der gekündigten Versicherung (…), also gegebenenfalls das (geringe oder noch nicht vorhandene) gezillmerte Deckungskapital, maßgebend ist, unabhängig davon aber mindestens die Hälfte des ungezillmerten Deckungskapitals als Rückkaufswert zugrunde gelegt werden muss. Damit wird einerseits in den Fällen, in denen der Versicherer das Zillmerungsverfahren anwendet, dessen negative Auswirkung auf den Rückkaufswert begrenzt, indem ein ungezillmertes Deckungskapital gegenüber gestellt wird. Andererseits erhält der Versicherungsnehmer aber auch nur die Hälfte dieses fiktiven Deckungskapitals; die andere Hälfte bleibt dem Versicherer zur Deckung derjenigen Abschlusskosten, für die er in der Prämienkalkulation die Zillmerung vorgesehen hat. …“
Dieser Formulierung ist zu entnehmen, dass dem Versicherer für seine Abschlusskosten lediglich die zweite Hälfte des ungezillmerten Deckungskapitals zur Verfügung steht, während der Versicherungsnehmer die andere Hälfte bereinigt von Abschlusskosten erhält. Das entspricht auch der Sicht des Bundesverfassungsgerichts, nach welcher dem Versicherungsnehmer seine Hälfte des ungezillmerten Deckungskapitals ohne Berücksichtigung von Abschlusskosten zusteht. So heißt es im Beschluss vom 15.02.200610:
„Der Beschwerdeführer hat insgesamt einen Betrag von 4.040 DM eingezahlt und eine Rückvergütung in Höhe von 582,10 DM erhalten; auf Grund seiner Berechnung beansprucht er jedoch eine Rückvergütung in Höhe von circa 2.200 DM zuzüglich Zinsen. Legt man die Berechnungsweise gemäß den Urteilen des Bundesgerichtshofs vom 12.10.2005 zugrunde, stünde dem Beschwerdeführer – ohne Berücksichtigung von Zinsen – ein Betrag von annähernd 2.000 DM zu. Wegen des Abzugs von Risikoanteilen und laufenden Verwaltungskosten ist die Summe der Hälfte des ungezillmerten Deckungskapitals geringer als die Hälfte der Summe der gezahlten Prämien. Die Differenz zwischen der noch zu zahlenden Rückvergütung und dem bereits ausgezahlten Betrag betrüge – ebenfalls ohne Berücksichtigung der Zinsen – danach etwa 1.400 DM beziehungsweise etwa 715 Euro. …“
Das Bundesverfassungsgericht geht mithin davon aus, dass lediglich der Risikoanteil für die Lebensversicherung sowie die laufenden Verwaltungskosten von der Hälfte des ungezillmerten Deckungskapitals abzuziehen sind, nicht dagegen noch weiter zu verrechnende ratierliche Abschlusskosten.
Dieses Ergebnis rechtfertigt sich ferner daraus, dass der erkennende Bundesgerichtshof mit seinen Urteilen vom 12.10.2005 nicht den Schluss gezogen hat, der Versicherer müsse als Folge der Unwirksamkeit der Vertragsbedingungen über die Abschlusskostenverrechnung sämtliche Kosten alleine tragen, sondern eine ergänzende Vertragsauslegung vorgenommen hat. Wenn dem Versicherungsnehmer dann im Falle der vorzeitigen Kündigung auf der Grundlage der ergänzenden Vertragsauslegung ein Anspruch auf die Hälfte des ungezillmerten Deckungskapitals zusteht, während die andere Hälfte dem Versicherer verbleiben soll, besteht keine Veranlassung, die dem Versicherungsnehmer zustehende Hälfte noch einmal um weitere ratierliche Abschlusskosten zu kürzen. Ansonsten könnte die Gefahr bestehen, dass der dem Versicherungsnehmer verbleibende Rückzahlungsbetrag im Vergleich zu den von ihm gezahlten Prämien einen zu niedrigen Gesamtwert erlangt, was mit den vom Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 15.02.2006 aufgestellten Grundsätzen kollidieren könnte11.
Zutreffend hat das Oberlandesgericht Köln12 ferner angenommen, dass die Versicherung zu einem Stornoabzug nicht berechtigt ist. Ist die Klausel über den Stornoabzug wie hier unwirksam, so ist der Versicherer zu einem solchen nicht berechtigt. Dies hat der Bundesgerichtshof bereits in seinem Urteil vom 12.10.2005 entschieden13. Entsprechend heißt es im Leitsatz:
„… Nach den Maßstäben des § 306 Abs. 2 BGB ergibt sich: Der Stornoabzug entfällt. …“
Da die §§ 174 Abs. 4, 176 Abs. 4 VVG a.F. eine Berechtigung des Versicherers zum Stornoabzug nur vorsehen, wenn er vereinbart ist, fällt die Möglichkeit zum Abzug im Falle einer unwirksamen Vereinbarung unabhängig davon weg, ob der Rückkaufswert den Mindestbetrag erreicht oder nicht. Eine ergänzende Vertragsauslegung kommt hier anders als bei der Verrechnung der Abschlusskosten nicht in Betracht. Hieran hat der Bundesgerichtshof auch noch einmal in seinen Beschlüssen vom 12.09.2012 und 27.11.201214 festgehalten, auf deren Begründung in vollem Umfang zu verweisen ist.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 26. Juni 2013 – IV ZR 39/10
- vgl. BGH, Urteil vom 12.10.2005 – IV ZR 162/03, BGHZ 164, 297, 322 f.[↩]
- BGH, Urteile vom 12.10.2005 – IV ZR 162/03, BGHZ 164, 297; und IV ZR 177/03[↩]
- BGH, Urteil vom 12.10.2005 – IV ZR 162/03, BGHZ 164, 297, 314[↩]
- BGH, aaO 318[↩]
- BGH, aaO 322 f.[↩][↩]
- OLG Köln, Urteil vom 05.02.2010 – 20 U 80/08[↩]
- BGH, aaO 320[↩][↩]
- für fünf bzw. zehn Jahre; BGH, aaO 322 f.[↩]
- vgl. Abschlussbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 19.04.2004 S. 113 f.[↩]
- BVerfG, NJW 2006, 1783 Rn. 80[↩]
- BVerfG, NJW 2006, 1783 Rn. 58 f., 61 f., 65, 7173, 76[↩]
- OLG Köln,a.a.O.[↩]
- BGH, Urteil vom 12.10.2005 – IV ZR 162/03, BGHZ 164, 297, 313[↩]
- BGH, Beschlüsse vom 12.09.2012 – IV ZR 64/11, VersR 2013, 300 Rn. 11 f.; und vom 27.11.2012 – IV ZR 189/11, NJW-RR 2013, 228 Rn. 11 f.[↩]