´Der Bundesgerichtshof hat in seinen Urteilen vom 9. Mai 2001 Versicherungsbedingungen in kapitalbildenden Lebensversicherungen, die den von der Beklagten verwendeten Bedingungen ähnlich sind, für die Beitragsfreistellung, die Kündigung des Vertragsverhältnisses, den Rückkaufswert einschließlich Stornoabzug sowie die Abschlusskosten wegen Intransparenz für unwirksam erachtet1. In seinem weiteren Urteil vom 12. Oktober 2005 hat sich der Bundesgerichtshof mit der Folge der Unwirksamkeit derartiger Bedingungen befasst2. Für den Fall einer unwirksamen Vereinbarung von Abzügen bei der Beitragsfreistellung und der Kündigung, dem sogenannten Stornoabzug, hat er darauf verwiesen, dass hierfür eine Regelung im Gesetz besteht. Nach § 174 Abs. 4, § 176 Abs. 4 VVG a.F. ist der Versicherer zu einem Abzug nur berechtigt, wenn er vereinbart ist. Ist die Vereinbarung unwirksam, besteht kein Anspruch auf einen Abzug3. Entsprechend heißt es bereits im Leitsatz der Entscheidung:
„…Nach den Maßstäben des § 306 Abs. 2 BGB ergibt sich: Der Stornoabzug entfällt …“
Bezüglich der unwirksamen Bestimmung zur Abschlusskostenverrechnung hat der Bundesgerichtshof demgegenüber darauf abgestellt, dass hierfür keine gesetzliche Regelung besteht, die die entstandene Lücke sachgerecht schließen könne4. Es sei daher im Wege der richterlichen ergänzenden Vertragsauslegung zu entscheiden, ob und auf welche Art die einmaligen Abschlusskosten mit den Beiträgen zu verrechnen seien5. Für den Fall der vorzeitigen Beendigung der Beitragszahlung bleibe jedenfalls die versprochene Leistung geschuldet; der vereinbarte Betrag der beitragsfreien Versicherungssumme und des Rückkaufswerts dürfe aber einen Mindestbetrag nicht unterschreiten. Dieser werde bestimmt durch die Hälfte des mit den Rechnungsgrundlagen der Prämienkalkulation berechneten ungezillmerten Deckungskapitals6.
Hieraus folgt, dass der Abzug einer in unwirksamen Bedingungen vereinbarten Stornogebühr bei Beitragsfreistellung oder Kündigung in jedem Fall unzulässig ist, unabhängig davon, ob der Rückkaufswert den Mindestbetrag erreicht. Im Falle einer zusätzlichen Unwirksamkeit der Klausel über die Abschlusskostenverrechnung muss lediglich sichergestellt werden, dass der Versicherungsnehmer in jedem Fall bei vorzeitiger Beendigung der Beitragszahlung den dargestellten Mindestbetrag erhält. Liegt die vom Versicherer versprochene Leistung wie hier im Falle einer Spätstornierung über diesem Mindestbetrag, so bleibt sie in jedem Fall vom Versicherer geschuldet. An diesen Grundsätzen hat der Bundesgerichtshof auch in späteren Entscheidungen festgehalten7. Eine ergänzende Vertragsauslegung kommt bei unwirksamen Klauseln über den Stornoabzug nicht in Betracht8. Durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist damit bereits geklärt, dass ein Stornoabzug aufgrund einer unwirksamen Bestimmung in den Allgemeiner Versicherungsbedingungen nicht erhoben werden darf. Für eine Berechtigung des Versicherers, einen Stornoabzug trotz unwirksamer Regelung in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen nur deshalb vornehmen zu können, weil die vertraglich geschuldete Leistung über dem geschuldeten Mindestbetrag liegt, gibt es keine Rechtsgrundlag.
Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass der Versicherer in seinen Versicherungsscheinen Garantiewerttabellen verwendet, die die Rückkaufswerte und beitragsfreien Versicherungssummen ausweisen. Der Versicherer hat vorliegend selbst in dem Versicherungsschein für die Berechnung der Rückkaufswerte und beitragsfreien Summen auf § 6 AVB verwiesen. Wenn kein Stornoabzug vereinbart ist, erstreckt sich dies entsprechend auf die in der Tabelle angegebenen Werte für den Rückkauf sowie die beitragsfreie Versicherungssumme. Der Versicherer hat in diese Garantiewerte bereits Stornoabzüge eingerechnet.
Der Bundesgerichtshof hält ferner an seiner bereits mit Urteil vom 12. Oktober 2005 begründeten Auffassung fest, dass im Falle einer unwirksamen Vereinbarung eines Stornoabzugs dieser entfällt und kein Anspruch des Versicherers auf die Vornahme eines derartigen Abzugs besteht9. Gründe, von dieser gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abzuweichen, bestehen nicht. § 174 Abs. 4 und § 176 Abs. 4 VVG a.F. bestimmen unmissverständlich, dass der Versicherer zu einem Abzug nur berechtigt ist, wenn er vereinbart und angemessen ist. Fehlt es an der wirksamen Vereinbarung eines Abzugs, kommt dieser nicht in Betracht. Für eine ergänzende Vertragsauslegung besteht daher anders als bei der Verrechnung der Abschlusskosten keine Veranlassung.
Es geht auch nicht darum, dass der Versicherer zu Lasten der Versicherungsnehmer, die den Vertrag zu Ende führen, verpflichtet wäre, an die den Vertrag vorzeitig beendenden Versicherungsnehmer zusätzlich zum Rückkaufswert einen Stornoabzug auszuzahlen. Vielmehr ist der Versicherer umgekehrt nur berechtigt, einen Stornoabzug vorzunehmen, wenn dieser vertraglich wirksam vereinbart ist. Ist dies der Fall, müssen Versicherungsnehmer, die den Vertrag gleichgültig zu welcher Zeit vorzeitig stornieren, einen derartigen Abzug hinnehmen. Anderenfalls kommt er nicht in Betracht. Ein Ausgleich zwischen den Interessen derjenigen Versicherungsnehmer, die den Vertrag vorzeitig stornieren, sowie denjenigen, die ihn planmäßig zu Ende führen, kann jedenfalls nicht dazu führen, dass im Falle einer vorzeitigen Vertragsbeendigung ein nicht zulässiger Stornoabzug entgegen § 174 Abs. 4, § 176 Abs. 4 VVG a.F. doch vorgenommen wird.
Dem Versicherungsnehmer muss ferner gemäß § 309 Nr. 5b BGB der Nachweis eingeräumt werden, dass der Stornoabzug in geringerer Höhe als vorgesehen anzusetzen ist bzw. vollständig zu entfallen hat10. Eine derartige Regelung enthalten § 6 Abs. 3 und Abs. 4 der Allgemeinen Bedingungen für die kapitalbildende Lebensversicherung nicht.
Bundesgerichtshof, Beschlüsse vom 12. September 2012 und vom 27. November 2012 – IV ZR 64/11 und IV ZR 189/11
- BGH, Urteile vom 09.05.2001 – IV ZR 121/00, BGHZ 147, 354, 361 ff.; IV ZR 138/99, BGHZ 147, 373, 377 ff.[↩]
- BGH, Urteil vom 12.10.2005 – IV ZR 162/03, BGHZ 164, 297, 312 ff.[↩]
- BGH, aaO 313[↩]
- BGH, aaO 313 – 316[↩]
- BGH, aaO 317[↩]
- BGH, aaO 318[↩]
- BGH, Urteile vom 14.07.2010 IV ZR 208/09, VersR 2010, 1067 Rn. 4; vom 26.09.2007 IV ZR 20/04, NJW-RR 2008, 188 unter 1; vom 18.07.2007 IV ZR 254/03, NJW-RR 2007, 1629 unter II 1[↩]
- Reiff in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. § 169 Rn. 57[↩]
- BGH, Urteil vom 12.10.2005 – IV ZR 162/03, BGHZ 164, 297, 313[↩]
- BGH, Urteil vom 25.07.2012 IV ZR 201/10, VersR 2012, 1149 Rn. 64, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen[↩]