Widerruf und Nutzungszinsen bei einer im Policenmodell geschlossenen Lebensversicherung

Die Höhe der Nutzungszinsen kann gemäß § 287 ZPO geschätzt werden1.

Die Schätzung der Höhe des Nutzungszinsanspruchs ist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders frei gestellten Tatrichters. Sie ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter erhebliches Vorbringen der Parteien unberücksichtigt gelassen, Rechtsgrundsätze der Zinsbemessung verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt h at2. Der Tatrichter hat insbesondere zu beachten, dass der Schätzung nach § 287 ZPO tragfähige Anknüpfungspunkte zugrunde liegen müssen3.

Zwar kann im Ansatz davon ausgegangen werden, dass der mit der Anlage des Sparanteils erzielte Gewinn dem Versicherungsnehmer bei kapitalbildenden Lebensversicherungen als tatsächlich gezogene Nutzung zusteht4.

Eine Schätzung der Nutzungen aus den Sparanteilen auf der Grundlage eines mittleren Zinsdatums und einer mittleren Verzinsung von 6 % lässt aber keinen plausiblen Maßstab erkennen. Diese Schätzung ist schon deshalb nicht sachgerecht, weil das Berufungsgericht keine schlüssigen Berechnungsparameter zugrunde gelegt hat. Es hat zunächst auf die in dem von der Versicherungsnehmerin vorgelegten Gutachten genannten, den veröffentlichten Geschäftsberichten der Versicherungsgesellschaft und ihrer Rechtsvorgängerin entnommenen Zinssätze Bezug genommen. Es hat die Berechnung des Privatgutachters indes seinem Urteil im Weiteren nicht zugrunde gelegt, sondern stattdessen eine „mittlere Verzinsung“ von 6 % angenommen und bezogen auf ein „mittleres Zinsdatum“ am 1.05.2001 einen rechnerisch nicht nachvollziehbaren Betrag von 15.070 € ermittelt. Das Berufungsgericht wird nunmehr die aus den Sparanteilen gezogenen Nutzungen auf der Grundlage schlüssiger Bemessungsfaktoren zu schätzen und dabei den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vorbringen zu geben haben.

Es erfolgt auch keine Saldierung des Rückzahlungsanspruchs des Versicherungsnehmers mit seinen Abschluss- und Verwaltungskosten5.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann sich der Versicherer gegenüber dem Prämienrückzahlungsanspruch hinsichtlich der Abschluss- und Verwaltungskosten nicht gemäß § 818 Abs. 3 BGB auf den Wegfall der Bereicherung berufen6. Die Verwaltungskosten sind bereits deshalb nicht bereicherungsmindernd zu berücksichtigen, weil sie nicht adäquatkausal durch die Prämienzahlungen entstanden sind und weil der Versicherer auf diese Weise den Einsatz sonstiger Finanzmittel erspart hat.

Hinsichtlich der Abschlusskosten hat der Versicherer unter Berücksichtigung des europarechtlichen Effektivitätsgebots das Entreicherungsrisiko zu tragen7. Diese Erwägungen stehen auch einer Anrechnung der Abschluss- und Verwaltungskosten auf gezogene Nutzungen entgegen.

Wie der Bundesgerichtshof bereits mit Urteil vom 21.06.20178 entschieden hat, ist es widersprüchlich, den entsprechenden Teil der Prämien nicht in die Berechnung der Nutzungen einzubeziehen, ihn aber auch noch von den als tatsächlich erzielt errechneten Nutzungen abzuziehen.

Im Übrigen besteht die Verpflichtung zur Herausgabe von Nutzungen nicht nur insoweit, als bei dem Versicherer aufgrund der Rückabwicklung insgesamt Vorteile verbleiben. Entscheidend ist, ob der Versicherer die Nutzungen tatsächlich gezogen hat.

Auch die Provision, welche die Versicherungsvermittlerin für die Vermittlung des Versicherungsvertrages erhalten hat, ist nicht von der Forderung der Versicherungsnehmerin abzuziehen.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 13. November 2019 – IV ZR 324/16

  1. vgl. BGH, Urteil vom 11.11.2015 – IV ZR 513/14, r+s 2016, 20 Rn. 32; BGH, Urteil vom 12.05.1998 – XI ZR 79/97, NJW 1998, 2529 unter – II 1 c aa 22]; Brambach, r+s 2017, 1, 2; SchmitzElvenich, VersR 2017, 266, 269[]
  2. vgl. BGH, Urteile vom 08.05.2012 – VI ZR 37/11, r+s 2012, 515 Rn. 9; vom 27.03.2012 – VI ZR 40/10, r+s 2012, 565 Rn. 6; vom 17.05.2011 – VI ZR 142/10, r+s 2011, 356 Rn. 7; jeweils m.w.N.[]
  3. BGH, Urteil vom 22.07.2014 – VI ZR 357/13, r+s 2014, 630 Rn. 17 m.w.N.[]
  4. BGH, Urteil vom 11.11.2015 – IV ZR 513/14, r+s 2016, 20 Rn. 51[]
  5. a.A.: KG r+s 2015, 179, 183; Brambach, r+s 2017, 1, 3; Schmitz-Elvenich, VersR 2017, 266, 270[]
  6. BGH, Urteile vom 29.07.2015 – IV ZR 384/14, VersR 2015, 1101 Rn. 41 ff.; – IV ZR 448/14 VersR 2015, 1104 Rn. 46 ff.[]
  7. vgl. BGH, Urteile vom 29.07.2015 – IV ZR 384/14 aaO Rn. 42 f.; – IV ZR 448/14 aaO Rn. 47 f.; jeweils m.w.N.[]
  8. BGH, Urteil vom 21.06.2017 – IV ZR 176/15, r+s 2017, 406 Rn. 26[]