Vorerkrankungen als mitwirkende Todesursache in der Unfallversicherung

Eine mitwirkende Verursachung des Todes durch Vorerkrankungen gemäß § 182 VVG ist nur anzunehmen, wenn feststeht, dass der (unfallbedingte) Tod des Versicherungsnehmers ohne die Vorerkrankungen nicht eingetreten wäre. Für den Nachweis der Mitverursachung, der dem Versicherer obliegt, ist ein Vollbeweis gemäß § 286 Abs. 1 ZPO erforderlich.

Stirbt ein 75-jähriger Versicherungsnehmer nach dem unfallbedingten Bruch eines Oberschenkelknochens, weil im Krankenhaus Dekubitus-Geschwüre auftreten, die zu einer tödlichen Sepsis führen, kann eine Mitverursachung des Todes durch Vorerkrankungen, wie z. B. bei einer arteriellen Verschlusskrankheit, nahe liegen. Für den Nachweis einer Mitverursachung im Sinne von § 182 VVG reicht dies jedoch nicht aus, weil bei einem 75-jährigen Patienten – auch ohne Vorerkrankungen – generell ein Risiko besteht, dass bei einem stationären Krankenhausaufenthalt Dekubitus-Geschwüre auftreten, die u U. auch zu einer tödlich verlaufenden Sepsis führen können.

In dem hier vom Oberlandesgericht Karlsruhe entschiedenen Rechtsstreit unterhielt der Vater der KLägerin bei der Beklagten eine Lebensversicherung. Eingeschlossen war eine Unfalltod-Zusatzversicherung mit einer Versicherungssumme von 52.000, 00 EUR. Für diese sollten die „Bedingungen für die Unfalltod-Zusatzversicherung“ der Beklagten gelten (im folgenden abgekürzt „Bedingungen“). Diese enthielten u.a. in § 4 folgende Regelung: „Haben zur Herbeiführung des Todes neben dem Unfall Krankheiten oder Gebrechen zu mindestens 25 Prozent mitgewirkt, vermindert sich unsere Leistung entsprechend dem Anteil der Mitwirkung.“

Bei einem häuslichen Sturz erlitt der zu diesem Zeitpunkt 75-jährige Vater der Klägerin eine Femurfraktur (Bruch des Oberschenkelknochens) links. Er wurde stationär in die Universitätsklinik Freiburg aufgenommen und dort operiert. In den folgenden Wochen befand sich der Vater der Kläger nach mehrfachen Verlegungen stationär in verschiedenen Krankenhäusern. Es entwickelten sich Dekubitus-Geschwüre im Bereich der linken Ferse und des linken Unterschenkels. Diese führten zu einer Unterschenkelamputation, und in der Folgezeit zu einer Sepsis, an welcher der Vater der Klägerin verstarb.

Die Klägerin, welche nach den vertraglichen Vereinbarungen für Leistungen der Beklagten aus dem Vertrag mit ihrem Vater bezugsberechtigt ist, hat vor dem Landgericht Zahlung der Unfalltod-Zusatzversicherung in Höhe von 52.000, 00 EUR nebst Zinsen verlangt. Sie hat geltend gemacht, der Tod ihres Vaters beruhe auf dem häuslichen Unfall vom 06.07.2011. Denn ohne die Femur-Fraktur wäre es nicht zum Krankenhausaufenthalt und nicht zum Tod ihres Vater durch eine Sepsis gekommen. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat geltend gemacht, der Tod ihres Versicherungsnehmers sei allein durch unfallunabhängige Vorerkrankungen (Niereninsuffizienz und arterielle Verschlusskrankheit) verursacht worden.

Das Oberlandesgericht Karlsruhe gab nun der Klägerin Recht, sie hat einen Anspruch gegen die beklagte Versicherung auf Auszahlung der vollen Versicherungssumme aus der Unfalltod-Zusatzversicherung in Höhe von 52.000, 00 EUR. Die Voraussetzungen für eine Kürzung gemäß § 4 der Bedingungen liegen nicht vor.

Die Voraussetzungen für eine Leistung aus der Unfalltod-Zusatzversicherung gemäß §§ 1, 2 der Bedingungen liegen vor. Die Klägerin ist als Bezugsberechtigte zur Geltendmachung der Versicherungsleistung aktiv legitimiert. Ihr Vater hat am 06.07.2011 einen Unfall im Sinne der Bedingungen erlitten, der den Krankenhausaufenthalt erforderlich machte. Er ist im Sinne von § 1 der Bedingungen an den Folgen des Unfalls verstorben. Denn die Dekubitus-Geschwüre und die letztlich tödliche Sepsis wären ohne den – durch den Unfall verursachten – Krankenhausaufenthalt nicht eingetreten.

Die Voraussetzungen für eine Kürzung der Leistung wegen einer mitwirkenden Verursachung durch Vorerkrankungen gemäß § 4 der Bedingungen liegen nicht vor.

Eine mitwirkende Verursachung durch Vorerkrankungen kann nur dann berücksichtigt werden, wenn die mitwirkende Ursache im Sinne einer conditio sine qua non nachgewiesen ist. Dabei ist ein Vollbeweis gemäß § 286 Abs. 1 ZPO erforderlich. Es reicht nicht aus, wenn – wie vorliegend – eine Mitverursachung durch Vorerkrankungen lediglich plausibel oder wahrscheinlich erscheint1.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Beklagten der Beweis nicht gelungen, dass Vorerkrankungen mitursächlich waren. Zwar litt der Vater der Klägerin unter eine Niereninsuffizienz, die seit 2010 dialysepflichtig war. Es bestanden weitere Vorerkrankungen, insbesondere eine arterielle Verschlusskrankheit. Es erscheint zwar plausibel, dass diese Vorerkrankungen zum Tod des Versicherungsnehmers beigetragen haben. Ein – für die Anwendung von § 4 der Bedingungen erforderlicher – Nachweis ist jedoch nicht geführt. Denn es lässt sich zumindest nicht ausschließen, dass im Krankenhaus entstandene Druckgeschwüre mit anschließender Sepsis auch ohne die Vorerkrankungen zum Tod des Vaters der Klägerin geführt hätten. Dies ergibt sich aus der ergänzenden mündlichen Stellungnahme des Sachverständigen Prof. Dr. K., mit welcher dieser im Oberlandesgerichtstermin vom 13.03.2014 seine erstinstanzlichen Ausführungen in verschiedenen Punkten klargestellt hat. Nach dem Gutachten des Sachverständigen spricht zwar eine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Vater der Klägerin ohne die bestehenden Vorerkrankungen nicht gestorben wäre. Andererseits wäre ein gleichartiger Verlauf – Entwicklung eines Dekubitus-Geschwürs im Krankenhaus mit später tödlicher Sepsis – nach dem Gutachten des Sachverständigen mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit auch bei einem gesunden 75-jährigen Menschen in altersentsprechendem Zustand möglich. Aus Beweislastgründen steht diese Möglichkeit einer Kürzung der Versicherungsleistung entgegen.

In der Ursachenkette, die letztlich zum Tod des Vaters der Klägerin geführt hat, spielten die im Krankenhaus aufgetretenen Dekubitus-Geschwüre eine entscheidende Rolle. Dekubitus-Geschwüre können, jedenfalls bei einem älteren Menschen, auch ohne Vorerkrankungen auftreten, wenn ein Patient eine gewisse Zeit im Krankenhaus liegen muss. Bei jedem Dekubitus-Geschwür besteht zumindest grundsätzlich auch die Möglichkeit, dass sich eine tödlich verlaufende Sepsis entwickeln kann. Dies hat der Sachverständige bei seiner ergänzenden Stellungnahme vor dem Oberlandesgericht klargestellt. Der Sachverständige hält es zwar – wie bereits im erstinstanzlichen schriftlichen Gutachten I 139 ausgeführt – für möglich oder wahrscheinlich, dass die arterielle Verschlusskrankheit für das Auftreten der Druckgeschwüre – bzw. für die weitere Entwicklung dieser Druckgeschwüre – mitursächlich war. Eine eindeutige Feststellung ist hierzu jedoch nachträglich nicht mehr möglich. Es ist zumindest nicht ausgeschlossen, dass die Verursachung der Dekubitus-Geschwüre auch ohne Vorerkrankungen bei dem 75-jährigen Vater der Klägerin nicht wesentlich anders verlaufen wäre.

Für den weiteren Verlauf der Erkrankungen spielte nach dem Gutachten des Sachverständigen wahrscheinlich der Umstand eine erhebliche Rolle, dass eine Mobilisierung des Versicherungsnehmers nicht oder kaum erfolgt ist. Denn das Auftreten und der weitere Verlauf von Dekubitus-Geschwüren hängt in erheblichem Umfang davon ab, inwieweit der Patient dauerhaft liegt oder sich in größerem Umfang bewegt. Für die unterbliebene Mobilisierung war nach Auffassung des Sachverständigen vor allem ursächlich, dass der Vater der Klägerin nach der Operation, die unter Vollnarkose durchgeführt worden war, unter einem sogenannten Durchgangssyndrom litt. Dieses Durchgangssyndrom mit Verwirrtheitszuständen kann nach einer schweren Operation besonders bei Patienten hohen Alters – wie dem Vater der Klägerin – auftreten. Die Ausprägung und der Verlauf des Durchgangssyndroms hingen möglicherweise auch mit den Vorerkrankungen zusammen. Auch dies lässt sich nach den Erläuterungen des Sachverständigen im Oberlandesgerichtstermin jedoch nicht mehr sicher feststellen. Das heißt: Es lässt sich zumindest nicht ausschließen, dass ein für die unterbliebene Mobilisierung des Versicherungsnehmers ursächliches Durchgangssyndrom in gleicher Weise aufgetreten wäre, wenn Vorerkrankungen nicht vorhanden gewesen wären. Auch insoweit ist eine Mitverursachung des Todes durch Vorerkrankungen nicht sicher nachgewiesen.

Der Sachverständige hat in seinen ergänzenden Ausführungen zudem klargestellt, dass auch das (möglicherweise durch Vorerkrankungen mit verursachte) Durchgangssyndrom kein zwingendes, sondern nur ein plausibles, Glied in der Ursachenkette war, die letztlich zum Tod des Vaters der Klägerin führte. Es lässt sich im Nachhinein nicht feststellen, dass ohne Durchgangssyndrom das Dekubitus-Geschwür und die Entwicklung zur Sepsis sicher verhindert worden wären. Auch dieser Gesichtspunkt steht der Feststellung einer mitwirkenden Verursachung durch Vorerkrankungen gemäß § 4 der Bedingungen entgegen.

Andere Verursachungs-Mechanismen, bei denen die Vorerkrankungen eine (mit-)entscheidende Rolle gespielt haben könnten, sind nach dem Gutachten des Sachverständigen nicht ersichtlich.

Da sich aus Beweislastgründen eine mitwirkende Verursachung des Todes des Versicherungsnehmers durch Vorerkrankungen gemäß § 4 der Versicherungsbedingungen nicht feststellen lässt, kommt es auf weitere Gesichtspunkte, die eventuell den Einwendungen der Beklagten entgegenstehen könnten, nicht an. Es kommt nicht darauf an, ob und inwieweit in den Krankenhäusern, in denen sich der Versicherungsnehmer aufhielt, eine ausreichende Dekubitus-Prophylaxe durchgeführt wurde. Ebenso spielt es keine Rolle, welche Rolle mögliche Maßnahmen zur Verbesserung der Durchblutung des Beines, auf die der Sachverständige hingewiesen hat, hätten spielen können. Da sich eine mitwirkende Verursachung – auf der Basis des Sachverständigengutachtens – nicht feststellen lässt, kann auch dahinstehen, aufgrund welcher Erwägungen der Sachverständige eine Mitverursachungsquote von mehr als 50 % angenommen hat. Denn aus Rechtsgründen kommt die Berücksichtigung einer solchen Quote erst dann in Betracht, wenn eine Mitverursachung des Todes durch Vorerkrankungen sicher festgestellt werden kann. Aus den ergänzenden Ausführungen des Sachverständigen im Oberlandesgerichtstermin vom 13.03.2014 ergibt sich, dass der Sachverständige diese rechtliche Voraussetzung einer Quotenbildung bei den von ihm angegebenen Prozentsätzen nicht berücksichtigt hat.

Oberlandesgericht Karlsruhe, Urteil vom 3. April 2014 – 9 U 123/13

  1. vgl. BGH, NJW 2012, 392[]