Der Begriff der „Textform” in einer Widerspruchsbelehrung nach § 5a VVG a.F. ist nicht erläuterungsbedürftig.
Ohne die gesetzliche Erläuterung in § 126b BGB kennen zu müssen, kann der Versicherungsnehmer diesem Begriff ohne weiteres entnehmen, dass er den Widerspruch in letztlich lesbarer Form dem Versicherer übermitteln und als Urheber erkennbar sein muss. Er kann ersehen, dass er seine Erklärung in Schriftzeichen und einer zur dauerhaften Wiedergabe geeigneten Weise festhalten muss und eine lediglich mündliche Erklärung nicht genügt.
In diesem Verständnis wird er durch den in der Belehrung enthaltenen Hinweis bestärkt, dass zur Wahrung der Frist die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs genüge.
Auch der Klammerzusatz „schriftlich oder in anderer lesbarer Form” ist nicht geeignet, den Versicherungsnehmer von der Einlegung des Widerspruchs abzuhalten. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer wird den Klammerzusatz zutreffend so verstehen, dass es genügt, wenn die Erklärung in Textform lesbar gemacht werden kann.
Ob solchermaßen nach dem Policenmodell geschlossene Versicherungsverträge wegen Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des § 5a VVG a.F. Wirksamkeitszweifeln unterliegen 1, kann im hier entschiedenen Streitfall dahinstehen. Die begehrte Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union scheidet bereits deshalb aus, weil es auf die Frage, ob das Policenmodell mit den genannten Richtlinien unvereinbar ist, hier nicht entscheidungserheblich ankommt. Dem Versicherungsnehmer ist es auch im Falle einer unterstellten Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Policenmodells nach Treu und Glauben wegen widersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt, sich nach jahrelanger Durchführung des Vertrages auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen und daraus Bereicherungsansprüche herzuleiten. Die Treuwidrigkeit liegt darin, dass der Versicherungsnehmer nach ordnungsgemäßer Belehrung über die Möglichkeit, den Vertrag ohne Nachteile nicht zustande kommen zu lassen, diesen jahrelang unter regelmäßiger Prämienzahlung durchführte und erst dann von dem Versicherer, der auf den Bestand des Vertrags vertrauen durfte, unter Berufung auf die behauptete Unwirksamkeit des Vertrages Rückzahlung aller Prämien verlangte 2. Der Versicherungsnehmer verhielt sich objektiv widersprüchlich. Die vertraglich eingeräumte und bekannt gemachte Widerspruchsfrist blieb bei Vertragsschluss 2004 ungenutzt. Der Versicherungsnehmer zahlte bis zur Kündigung im Mai 2008 dreieinhalb Jahre die Versicherungsprämien und ließ danach nochmals einige Monate bis zur Erklärung des Widerspruchs vergehen. Die jahrelangen Prämienzahlungen der bereits im November 2004 über die Möglichkeit, die Verträge nicht zustande kommen zu lassen, belehrten Versicherungsnehmer und ihre trotz dieser Belehrung zunächst nur für die Zukunft ausgesprochene Beendigung im Mai 2008 haben bei dem Versicherer ein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand der Verträge für die Vergangenheit begründet, was für den Versicherungsnehmer auch erkennbar war. Auch insoweit ist entgegen der Auffassung der Revision eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nicht erforderlich. Die Maßstäbe für die Berücksichtigung der Gesichtspunkte von Treu und Glauben sind in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geklärt 3 und die Annahme rechtsmissbräuchlichen Verhaltens steht in Fällen wie dem vorliegenden in Einklang mit dieser Rechtsprechung 4.
soweit geltend gemacht wird, es sei unionsrechtlich ungeklärt, ob verbraucherschützende Widerspruchsrechte durch nationale Vorschriften zum Rechtsmissbrauch beschränkt werden dürften, berührt dies zwar das Gebot der praktischen Wirksamkeit. Der Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben und des Verbots widersprüchlicher Rechtsausübung steht dies aber nicht entgegen, weil die Ausübung dieser Rechte in das nationale Zivilrecht eingebettet bleibt und die nationalen Gerichte ein missbräuchliches Verhalten auch nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union berücksichtigen dürfen 5.
Die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben beeinträchtigt auch angesichts der besonderen Umstände des Streitfalles die praktische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts und den Sinn und Zweck des Widerspruchsrechts nicht. Die Erwägungen der Zweiten und Dritten Richtlinie Lebensversicherung, eine genaue Belehrung der Versicherungsnehmer über ihr Rücktrittsrecht vor Abschluss des Vertrages sicherzustellen, werden auch hier nicht berührt, denn entscheidend ist im Streitfall, dass der Versicherungsnehmer, die dem geltenden nationalen Recht entsprechend ordnungsgemäß über die Möglichkeit belehrt worden ist, die Verträge ohne Nachteile nicht zustande kommen zu lassen, diese Verträge gleichwohl in Vollzug gesetzt und sie über mehrere Jahre durchgeführt hat. Hier kommt hinzu, dass sie sie sodann zunächst nicht einmal rückwirkend, sondern lediglich durch Kündigung mit Wirkung für die Zukunft beendet hat, sich den vom Versicherer auf die Kündigung hin berechneten Rückkaufswert hat auszahlen lassen und erst danach unter Berufung auf die behauptete Unwirksamkeit der Verträge diese von Anfang an nicht mehr hat gelten lassen wollen und Rückzahlung aller Prämien verlangt hat. Auch in diesem Fall ist das Vertrauen des Versicherers in den Bestand der Verträge für die Vergangenheit vorrangig schutzwürdig. Daran ändern die Einwände der Revision, der Versicherer habe durch eine rechtzeitige Übermittlung der Verbraucherinformationen vor der Auswahlentscheidung dem Versicherungsnehmer klare Verhältnisse schaffen können und der Verbraucher könne auf seine Rechte nicht verzichten, nichts 6. Entscheidend ist das widersprüchliche Verhalten des Versicherungsnehmers, das ein schutzwürdiges Vertrauen bei dem Versicherer geweckt hat.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 10. Juni 2015 – IV ZR 105/
- vgl. dazu BGH, Urteil vom 16.07.2014 – IV ZR 73/13, BGHZ 202, 102 Rn. 16 ff.; BVerfG, Beschluss vom 02.02.2015 – 2 BvR 2437/14, WM 2015, 514 Rn. 30 ff.[↩]
- vgl. im Einzelnen zu den Maßstäben BGH, Urteil vom 16.07.2014 aaO Rn. 3242; BVerfG, Beschluss vom 02.02.2015 aaO Rn. 42 ff.[↩]
- siehe im Einzelnen BGH, Urteil vom 16.07.2014 – IV ZR 73/13, BGHZ 202, 102 Rn. 41 f.; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 04.03.2015 1 BvR 3280/14 31 ff. m.w.N.[↩]
- vgl. BGH, Urteil aaO; vgl. auch BVerfG aaO[↩]
- BVerfG aaO Rn. 32 m.w.N.[↩]
- vgl. BVerfG aaO Rn. 36[↩]